Denke mal einer an die Kinder

Die Grünen fordern einen veränderten Lehrplan, um benachteiligte Kinder zu unterstützen. Verschiedenen Trägern der Jugendarbeit gehen die Ideen aus der Politik noch nicht weit genug

Endlich wieder ins Freizi! Träger der Jugendhilfe wünschen sich die Finanzierung von Schnelltests, um ihre Angebote öffnen zu können Foto: Daniel Pockett/dpa

Von Franziska Betz

Aktive der Jugendarbeit fordern dringend Nachbesserung in der Unterstützung für die Kinder- und Jugendarbeit. Sie gehen damit teilweise über das hinaus, was die Grünen Anfang des Monats in einem Positionspapier gefordert hatten. Anlass sind die gravierenden psychischen Auswirkungen des Lockdowns auf junge Menschen. Deren Ausmaß hat die Mitte Februar veröffentlichte bundesweite Copsy-Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf aufgezeigt.

Jedes dritte Kind leidet demnach durch die Pandemie unter psychischen Auffälligkeiten, auch „depressive Symptome und psychosomatische Beschwerden“ seien verstärkt zu beobachten. Besonders schwer treffe es Kinder, denen es vorher schon schlecht gegangen sei. „Wir brauchen verlässlichere Konzepte, um insbesondere Kinder aus Risikofamilien zu unterstützen“, so Studienleiterin Ulrike Ravens-Sieberer. „Sonst besteht die Gefahr, dass sie ihre Motivation und Lernfreude verlieren.“

Diese Gefahr sieht auch Anke Wiebersiek von der Arbeiterwohlfahrt, die in Bremen Übergangswohnheime für Geflüchtete betreibt. Sie sagt, dass viele der dort lebenden Schü­le­r*in­nen Schwierigkeiten hätten, am Onlineunterricht teilzunehmen. Dazu komme die „Sorge, nicht in die nächste Klasse versetzt zu werden“. Ein Problem: Tablets hätten anders als geplant noch nicht alle Schü­le­r*in­nen bekommen.

Auf Nachfrage teilt die Bildungsbehörde mit, dass alle Schulen bereits im Dezember mit Schul-Tablets ausgestattet worden seien. Wenn Schü­le­r*in­nen in den Übergangswohnheimen noch keine Tablets erhalten haben, könne dies daran liegen, dass die Schulen sie noch nicht verteilt hätten, sagt die Sprecherin der Senatorin, Annette Kemp.

Laut Wiebersiek falle es zudem einigen Kindern im Homeschooling schwer, die Aufgabenstellungen zu verstehen, sowie – aufgrund einer fehlenden Alltagsstruktur – sich für den Online-Unterricht zu motivieren. Auch beim flächendeckenden WLAN in den Einrichtungen gebe es noch Probleme.

„Die Lage ist prekär“, sagt auch Sahhanim Görgü-Philipp (Grüne), Fraktionssprecherin für Jugend und Soziales. „Den Stress ihrer Eltern bekommen die Kinder ungefiltert mit.“ Um die Folgen abzufedern, haben die Grünen Anfang Februar in einem Papier Forderungen aufgestellt.

Geflüchteten Kindern in Übergangswohnheimen solle demnach besondere Aufmerksamkeit beim Onlinelernen geschenkt werden. Auch müsse für die technischen Voraussetzungen gesorgt werden. Eine weitere Baustelle sei der Spracherwerb für Nicht-Muttersprachler*innen. Die Fraktion fordert, für diese Kinder digitale Anlässe zu schaffen, damit sie weiter Deutsch sprechen. Der Bewegungsmangel der Kids solle auch online behoben werden. „Zum Beispiel durch Bewegungsspiele, die im Kinderzimmer möglich sind“, so Görgü-Philipp. Das Papier sieht auch vor, den Lehrplan so zu verändern, dass „Schüler*innen und Lehrkräfte digital in einen sozial-emotional Austausch treten können“. Und zwar „nicht zusätzlich zu Mathe und Englisch, sondern stattdessen“, betont Görgü-Philipp. Darüber hinaus fordern die Grünen, die Offene Jugendarbeit auszubauen und zu digitalisieren. Dafür solle die Verwendung der Schul-Ipads ermöglicht werden.

„Den Stress ihrer Eltern bekommen die Kinder ungefiltert mit“

Sahhanim Görgü-Philipp, Grünen-Fraktion

Die Dringlichkeit des Papiers erschließt sich nicht allen. Die FDP-Fraktionssprecherin für Kinder, Birgit Bergmann, nennt die grünen Forderungen „selbstverständlich“. So selbstverständlich, dass vieles schon Standard und bereits „jüngst in Anträgen in der Bürgerschaft beschlossen worden“ sei. Petra Krümpfer, SPD-Sprecherin für Kinder und Jugend, sagt, die Koalition bringe die nötigen Maßnahmen auf den Weg, auch ohne „ein Positionspapier der Grünen-Fraktion“. Als Beispiel nennen beide einen Bürgerschaftsbeschluss aus dem Januar zur Digitalisierung der Jugendarbeit. Über die Relevanz des Themas sind sich also alle einig.

Im Mäd­chen*­kul­tur­haus Bremen hat Leah Keimburg schon im Vorjahr digitale Angebote eingeführt, auch für Bewegung. Einige Mädchen* seien erst durch die Angebote wieder zu ihren Gruppen gekommen. Mädchen* mit Beeinträchtigung oder jüngere Kinder bräuchten hingegen Unterstützung, um an Online-Formaten teilnehmen zu können, so Keimburg. „Die größte Herausforderung ist es allerdings, die Zielgruppe überhaupt zu erreichen.“ Das sei trotz Werbung kaum möglich.

So geht es auch Henrik Sorgalla und Nora Dilling vom Bund-Deutscher-Pfadfinder_innen-Haus am Hulsberg: Zu den Online-Angeboten des Hauses kämen meist nur die Jugendlichen, die für die Themen bereits sensibilisiert seien. Bei Veranstaltungen vor Ort dagegen würden Jugendliche oft auch spontan teilnehmen. Wie es aktuell läuft, findet Dilling schade: „Jugendkultur und diverse Perspektiven zu erleben, ist wesentlich für die Entwicklung der Selbstbestimmung von Jugendlichen.“

Alle drei fordern eine bessere Finanzierung und damit Aufwertung der Jugendarbeit nicht erst seit der Pandemie. Die Gelder seien meist nur für ein Jahr bewilligt, was die Planung erschwere. Auch feste Projektbudgets würden den Pädagog*innen helfen, im Moment gehe viel Zeit verloren, weil sie Drittmittel beantragen müssen. Keimburg fordert zudem Schnelltests für die Einrichtungen: „Dann könnten die Jugendlichen kommen, einen Schnelltest machen und an Bewegungsangeboten teilnehmen.“