Coronapandemie in Island: Einstellige Inzidenzzahlen
Erstmals seit über vier Monaten hat ein europäisches Land einstellige Inzidenzwerte bei Coronaneuinfektionen erreicht: Island. Jetzt wird gelockert.
Mit Island ist die 14-Tage-Inzidenz der Coronaneuinfektionen pro 100.000 EinwohnerInnen seit Monaten erstmals in einem ganzen Land wieder einstellig geworden: 8,4 lautet der Wert für die vierte und fünfte Kalenderwoche. Die zum Wochenende veröffentlichten Zahlen des Gesundheitsministeriums in Reykjavik sehen sogar noch besser aus: Eine 14-Tage Inzidenz von 2,5.
Hat Island Corona „besiegt“? Das hatte man schon einmal im Mai und Juni 2020 gehofft, als die Zahl der Neuinfektionen wochenlang gegen Null tendierte. Aber um der Tourismusbranche zu helfen, die die größte Einnahmequelle des Landes ist, waren daraufhin die Grenzen wieder geöffnet worden – wenn auch vorsichtig und mit obligatorischem Test bei der Einreise.
Es war eine zu lückenhafte Kontrolle, wie sich bald herausstellte. Die Zahlen schnellten hoch. Mitte Oktober lag Island mit einer Inzidenz von 290 zeitweise dann sogar in der Gruppe der am schwersten betroffenen europäischen Länder.
Geimpfte EU-Bürger müssen nicht mehr in Quarantäne
Natürlich spielte die Insellage eine Rolle dafür, wenn man das seither wieder schrittweise in den Griff bekommen hat. Aber auch dank einer Strategie, die ähnlich wie in allen anderen nordischen Ländern nicht auf Perioden eines umfassenden Lockdowns und auf allgemeines Maskentragen setzte und setzt, sondern auf gezielte Einzelmaßnahmen zum Aufspüren und Eingrenzen der Infektionen.
Diese Politik habe dazu beigetragen, dass die IsländerInnen noch nicht „Coronamüde“ geworden seien, sondern bis heute positiv auf die von der Regierung eingeführten Regeln für Quarantäne und soziale Distanz – 2 Meter Abstand – reagieren, wie Dórólfur Guðnason, Chefepidemiologe der Gesundheitsbehörde gerne lobt.
Die einheimische Bevölkerung wird viel und regelmäßig getestet. Eine Quarantänepflicht gibt es nicht erst nach einem positiven Test, sondern schon dann, wenn wegen des Kontakts mit einer infizierten Person das Risiko einer Ansteckung bestehen könnte, selbst wenn man keinerlei Symptome hat. Ins Land kommen Reisende seit Monaten nur nach zweimaligen negativen Tests: Einer, der sofort bei der Einreise am Flughafen stattfindet, der zweite nach darauf folgender fünftägiger Quarantäne.
Seit Montag sind nun wieder Kneipen, Restaurants und Fitnessstudios geöffnet, eine Begrenzung der Zahl gleichzeitiger Besucher auf maximal 20 wurde aber erst einmal beibehalten. Bei Einreisen ins Land müssen EU-BürgerInnen nicht mehr in Quarantäne, wenn sie Corona-Impfungen mit einem amtlichen Impf-Pass nachweisen können. Für Nicht-Geimpfte steht aber eine weitere Verschärfung der Regeln zur Debatte: Die Einreisequarantäne zwischen den beiden Tests soll in Unterkünften unter staatlicher Regie absolviert werden müssen, um eine bessere Kontrolle zu haben.
Schnelle Durchimpfung aller vorerst geplatzt
Was die Chancen Islands auf eine baldige Impfung der Bevölkerung angeht, so war der Kampf der Regierung gegen Neuinfektionen wohl eher sogar zu erfolgreich. Seit Ende letzten Jahres hatte die Gesundheitsbehörde mit dem Pharmakonzern Pfizer über eine Impfstoffregelung nach dem „Israel-Modell“ verhandelt. Island sollte bevorzugt mit 500.000 Dosen des Pfizer/Biontech-Impfstoffs versorgt werden, was für eine zweimalige Impfung der gesamten erwachsenen Bevölkerung gereicht hätte.
Im Gegenzug wollte sich das Land verpflichten, Pfizer mit den Gesundheitsdaten der Geimpften zu versorgen, damit das Unternehmen diese für Studien zur Herdenimmunität und Wirksamkeit gegen einzelne Mutationen verwenden könnte. Eine große Sporthalle in Reykjavik und verschiedene andere Sportarenen wurden bereits für Massenimpfaktionen vorbereitet.
Am Mittwoch wurde bekannt, dass Pfizer diesen Deal doch nicht abschließen will. Offizielle Begründung: Die Infektionszahl auf Island sei schon zu niedrig für solche Studien. Laut Kári Stefánsson, Chef des isländischen Genforschungsunternehmens „deCode“ soll bei diesem Rückzug des Konzerns aber auch der Protest der Regierungen verschiedener EU-Länder gegen eine solche Vorzugsbehandlung Islands eine Rolle gespielt haben.
Auf ihre Regierung sei kein Druck ausgeübt worden, versichert Katrín Jakobsdóttir: „Natürlich wäre so eine Schnellimpfung fantastisch gewesen, ich hätte das gerne gesehen. Aber dann machen wir eben im bisherigen Tempo weiter.“ Da steht Island mit einer Impfrate von 5,5 Prozent vergleichsweise auch nicht schlecht da.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Kretschmer als MP von Linkes Gnaden
Neuwahlen hätten der Demokratie weniger geschadet
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen