Justiz in Polen: Ab in die Verbannung

Wenn Staats­an­wäl­t*in­nen gegen Mitglieder der nationalpopulistischen PiS ermitteln, riskieren sie, an ein Provinz-Gericht versetzt zu werden.

Eine leere Richterbank im Gerichtssal des Surpreme Court in Warschau

Staats­an­wäl­t*in­nen in Polen riskieren Versetzung in Provinz-Gerichte bei Ermittlung gegen PiS-Mitglieder Foto: Piotr Twardysko/imago

WARSCHAU taz | Polens Staats­an­wäl­t*in­nen müssen mit Verbannung rechnen, wenn sie sich mit der nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) anlegen. Neue Einsatzorte für die Staatsdiener aus den Metropolen Warschau, Breslau und Posen sind dann beispielweise Kleinstädte wie Srem, Goleniow, Jaroslaw und Lidzbark Warminski.

Polens Landes-Staatsanwalt und Ex-Geheimdienstchef Bogdan Swieczkowski hatte ein Exempel statuieren wollen und über ein Dutzend hochspezialisierter Staatsanwälte an kleinere Gerichte „delegiert“, die hunderte Kilometer von deren bisherigen Arbeits- und Wohnorten entfernt liegen.

Statt mit Geldwäsche, Steuerkarussellen und Wirtschaftskriminalität sollen sie sich nun ein halbes Jahr lang mit kleinen Betrugsfällen und Diebstählen befassen. Unter den Verbannten sind auch sechs, die dem regierungskritischen Verband der unabhängigen Staatsanwälte „Lex Super Omnia“ angehören (LSO – Das Gesetz steht über allem).

Offiziell soll bei der „Entsendung“ weder die LSO-Mitgliedschaft eine Rolle gespielt haben, noch die Tatsache, dass einige dieser Staatsanwälte gegen Mitglieder der PiS ermittelten. Offiziell heißt es vielmehr, dass die LSO-Kollegen den Staatsanwälten in der Provinz unter die Arme greifen sollen.

Absolute Personalnot

Innerhalb weniger Tage mussten diese „Verbannten“, wie sie sich selbst sehen, nun jeweils 100 bis 150 laufende Ermittlungen in Warschau, Breslau und Posen an andere Staatsanwälte abgeben, darunter auch diejenigen Fälle, in die Mitglieder der PiS-Regierungskoalition verwickelt sind.

„Für unsere Verbannung gibt es keine inhaltlichen oder logisch nachvollziehbaren Gründe“, sagt Staatsanwältin Ewa Wrzosek, die im LSO-Verband Kassenprüferin ist. „Die Coronapandemie dauert nun schon einige Monate und in meiner Bezirksstaatsanwaltschaft Warschau-Mokotow sind wir absolut unterbesetzt. Jetzt hat der Landes-Staatsanwalt auch noch zwei von uns entsandt – mich nach Srem und meinen Kollegen Jaroslaw Onyszczyk nach Lidzbark-Warminski.“

Von 34 Staatsanwalts-Planstellen in Warschau-Mokotow seien zur Zeit nur noch 17 besetzt. „Jetzt müssen unsere Kollegen auch noch unsere Ermittlungen übernehmen. Die eigenen Fälle bearbeiten und sich dann noch in rund 250 bis 300 Fälle völlig neu einarbeiten – das kostet Zeit.“ Die ohnehin schon sehr lang dauernden Prozesse würden sich weiter verlängern.

„In meinem konkreten Fall“, so Wrzosek, „spielt wohl auch Rache eine Rolle. Rache dafür, dass ich zu der in der Pandemie angesetzten Präsidentschaftwahl 2020 Ermittlungen aufgenommen hatte.“ Die Wahl war ohne das notwendige Gesetz vorbereitet worden und fielen dann einfach aus. Für die hohen finanziellen Verluste wollte niemand in der PiS-Regierung die Verantwortung übernehmen. Weder politisch, noch strafrechtlich.

Welle von Schikanen

Wrzosek ist sich sicher: „Die Repressalien gegen Staatsanwälte der Lex Super Omnia sind Teil einer Welle von Schikanen gegen Juristen, insbesondere gegen Richter. Und sie passen zur Rhetorik der Politiker, die ständig davon sprechen, dass man ‚die Reform des Rechtssystems‘ in Polen abschließen müsse.“ In der Provinz sei es für die kritischen Staatsanwälte schwieriger, sich mit verfolgten Richtern solidarisch zu zeigen oder aber bei den Medien Gehör zu verschaffen.

Die Lex Super Omnia-Staatsanwälte kritisieren immer wieder öffentlich das Bestreben der PiS, die Dreiteilung der Macht aufzuheben und sich die gesamte Gerichtsbarkeit unterzuordnen. Sollte die „Strafaktion“, wie LSO-Staatsanwälte die Entsendung an hunderte Kilometer entfernt liegende Provinz-Gerichte nennen, die PiS-Kritiker mundtot machen, so ist dies nicht gelungen. So ist Staatsanwältin Ewa Wrzosek aus Warschau nun zum Medienstar geworden und eine begehrte Interviewpartnerin und immer wieder Gast in Radio- und Fernsehshows.

In Srem bei Posen wurde sie von einem Bürgerkomitee begeistert willkommen geheißen: „Sind Sie die Verbannte aus Warschau? Lassen Sie uns wissen, wenn Ihnen etwas fehlen sollte. Wir helfen Ihnen, sich bei uns wohl zu fühlen!“ Dann erhielt sie zum Geschenk noch ein Handbuch, in dem spezifische Ausdrücke und Traditionen erklärt werden, die nur im Posener Raum vorkommen. Und auch die Medien waren wieder zur Stelle. „Wir lassen uns nicht einschüchtern“, so Wrzosek.

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