Dominic Johnson über die Verurteilung von Frankreichs Ex-Präsident
: Ein Amt, das sich überlebt hat

Das Amt des Präsidenten Frankreichs ist im Europa des 21. Jahrhunderts ein Anachronismus. Er – es ist bislang immer ein Mann gewesen – ist vom Volk gewählt, aber wenn er will, regiert er als Diktator. Für viele wichtige Entscheidungen braucht er weder Regierung noch Parlament. Er kann im Alleingang das Militär in den Krieg schicken und über die von ihm ernannten Präfekten, denen die Polizei untersteht, eine Maschinerie der autoritären Herrschaft unter Umgehung der gewählten Institutionen befehligen.

Sein Amt, einst von General de Gaulle 1958 zur Stabilisierung des Landes während der Entkolonisierung Algeriens ausgearbeitet, ist der personifizierte Ausnahmezustand. Sein Etat ist höher als der der britischen Königsfamilie und weitgehend der öffentlichen Kontrolle entzogen. Auch nach Ende seiner Amtszeit bekommt er immense Bezüge, behält über den französischen Staatsrat ein Amt mit den Befugnissen eines Verfassungsrichters und genießt volle straf- und zivilrechtliche Immunität für alles, was er als Präsident gemacht hat. Erst seit 2007 kann der Präsident für Dinge, die nicht mit dem Amt zusammenhängen, zur Verantwortung gezogen werden. Das trägt nun zur Entzauberung eines Amtes bei, das sich überlebt hat. Die Verurteilung von Nicolas Sarkozy zu einer Gefängnisstrafe wegen Korruption ist ein historisches Ereignis, weil sie die Grenzen der Macht aufzeigt. Vor ihm war bereits Jacques Chirac verurteilt worden, aber anders als dieser bei seiner Verurteilung vor zehn Jahren steht Sarkozy heute noch mitten im politischen Leben – das denkt er jedenfalls.

In einem modernen Frankreich würde der Staatschef nicht länger über dem Recht stehen, Rechtsbeugung wäre keine normale Begleiterscheinung einer politischen Karriere mehr. Emmanuel Macron hat Frankreich nicht modernisiert: Er hat das zentralistische, autoritäre Herrschaftsmodell der Fünften Republik gestärkt, statt es zu reformieren. Es sind Urteile wie das gegen Sarkozy, die die Umrisse einer politischen Neuordnung zumindest ansatzweise in Erscheinung treten lassen.

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