Eine Woche US-Präsident Biden: Bloß keine Zeit vergeuden

Joe Biden tut alles, um die Politik seines Vorgängers umzukehren. In der ersten Woche hat er so viele Dekrete verabschiedet wie kein Präsident zuvor.

US-Präsident Joe Biden spricht mit Unterlagen zur Strategie der Bekäpfung der Coronapandemie in der Hand

Neue Coronaregeln und mehr Impfstoff zählt zu den präsidentiellen Vorhaben von Joe Biden Foto: Alex Brandon/ap

NEW YORK taz | Joe Biden ist rasant losgeprescht. Der älteste Präsident, den die USA je hatten, hat in seiner ersten Woche im Amt mehr Dekrete unterschrieben als jeder Amtsvorgänger vor ihm. Jeden Tag haben seine Landsleute ihn im Oval Office neben einem neuen Stapel von in dunkelblaue Einbände gefassten präsidentiellen Vorhaben gesehen.

Dabei ging es um so unterschiedliche Dinge wie neue Coronaregeln (Maskenpflicht in Bundesräumen) und mehr Impfstoffkäufe (bis zum Sommer will er 300 Millionen Leute impfen lassen), den Mauerbau (gestoppt), die Regelungen zum Status von Papierlosen (angekündigt), die Bekämpfung von Rassismus (gegen schwarze und asiatische AmerikanerInnen), die Gleichbehandlung von Transgender-Leuten (sie dürfen im Militär bleiben), die Rückkehr in internationale Abkommen (Klima, START) und die Wiederaufnahme von diplomatischen Beziehungen mit der palästinensischen Führung.

Mindestens ebenso stark wie Bidens mehr als drei Dutzend Dekrete kontrastieren sein Auftreten und sein Ton mit seinem Amtsvorgänger. Biden spricht in ganzen Sätzen. Bezieht sich auf die Forschung. Benutzt auch leise – und manchmal fast geflüsterte – Töne. Richtet sich an all seine Landsleute. Bereitet sie auf schlechte Nachrichten vor (eine halbe Million Covid-19-Tote bis Februar) und mahnt sie zu Vernunft und Respekt.

Er selbst trägt überall eine Maske, die er zum Reden abnimmt. Und erinnert daran, dass der „systemische Rassismus“, den nie zuvor ein US-Präsident so häufig erwähnt hat wie er, auch in der Pandemie Ungerechtigkeiten schafft (deutlich höhere Opferzahlen in POC-Communitys), auf die der Staat ausgleichend reagieren muss. In seiner ersten Woche verfügt er auch, dass Harriet Tubman, die ehemalige Sklavin, die nach ihrer eigenen Flucht Dutzenden anderen Menschen in die Freiheit geholfen hat, demnächst auf die 20-Dollar-Scheine kommen wird.

Umgestaltetes Oval Office

Seine eigene Rolle bei der Genese der Dekrete macht Biden nicht zum Thema. Natürlich schreibt er auch keine Tweets, in denen er Attacken in Großbuchstaben führt. In der ersten Person spricht er in seiner ersten Woche vor allem, wenn es darum geht, Regeln aufzustellen. „Falls jemand Respektlosigkeit zeigt, entlasse ich ihn auf der Stelle“, sagt er am Abend seines ersten Amtstages, als er Hunderte von Regierungsmitarbeitern per Videoschaltung vereidigt.

Auch die Umgebung hat sich verändert. Im Oval Office hängen jetzt etwas dunklere Vorhänge. Und die Büsten im Raum repräsentieren jetzt auch andere Figuren und Ereignisse aus der Geschichte als nur die weißen „Gründerväter“. Biden hat zusätzlich zur Martin-Luther-King-Büste auch Skulpturen des Landarbeitergewerkschafters César Chavez und der Bürgerrechtlerin Rosa Parks im Büro.

Die Sammlung von militärischen Münzen und die Reiterstatue von Präsident Andrew Jackson, der sein Vermögen mit Sklaven machte und während seiner Amtszeit Vertreibungen von Native Americans organisierte, sind verschwunden.

In Washington beschreibt der prominente Virologe Anthony Fauci die neue Atmosphäre als „befreiend“. Der Arzt hat Generationen von US-Präsidenten in Gesundheitskrisen beraten. Aber bei dem letzten stand er mitten in der Pandemie auf der Abschlussliste. Auch in den befreundeten Hauptstädten – in Kanada, Mexiko, Großbritannien, Frankreich und Deutschland, wo Biden nacheinander und in dieser Reihenfolge die Regierungs- und Staatschefs angerufen hat – ist die Erleichterung über berechenbarere Partner in Washington spürbar.

Zwischenwahlen im Herbst 2022

Der neue Außenminister Antony Blinken, der seine Karriere unter den beiden Clintons begonnen hat, hat bei seiner Anhörung im Senat zwar die Tötung des iranischen Generals ­Qasim Soleimani als „das richtige Ding“ gerechtfertigt und den Wiedereinstieg in das Atomabkommen an kaum erfüllbare Bedingungen geknüpft. Aber er bekennt sich zur Nato und zur Zusammenarbeit mit der Europäischen Union und steht für den Multilateralismus früherer US-Regierungen.

Wenn Biden spricht oder unterschreibt, steht meistens die erste Frau im zweithöchsten Amt der USA neben ihm. Vizepräsidentin Kamala Harris hat in dieser ersten Woche bereits mehrere Regierungsmitglieder vereidigt, nachdem der Senat sie bestätigt hat. Darunter Janet Yellen, die ehemalige Notenbankchefin, die jetzt die erste Frau an der Spitze des Finanzministeriums ist. Und Lloyd Austin, der erste schwarze Verteidigungsminister. Sowie Avril Haines, die Geheimdienstkoordinatorin, deren Behörde nach den Angriffen von 9/11 gegründet worden war, um die USA vor internationalem Terrorismus zu schützen, und die sich nach dem Sturm auf das Kapitol auch mit dem „inländischen Extremismus“ befassen muss.

Dekrete sind eine Möglichkeit für Biden, zumindest einige seiner Wahlversprechen schnell umzusetzen. Aber sie bieten nur vorübergehende Garantien. Die nächste Präsidentin kann neue Dekrete schreiben und alte streichen. Für die Umsetzung seiner großen Vorhaben – wie das 1,9-Billionen-Dollar-Konjunkturpaket und die Einwanderungsreform –, ist Biden auf die Unterstützung des Kongress angewiesen.

Zum ersten Mal seit zehn Jahren haben die DemokratInnen in beiden Kammern knappe Mehrheiten. Aber auch dort steht Biden unter Zeitdruck. Denn schon im Herbst 2022 finden Halbzeitwahlen statt, die neue Mehrheitsverhältnisse und Blockaden schaffen könnten.

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