: Bafög-Härtefall? Abgelehnt!
Das Bafög-Amt lehne immer häufiger Anträge von Menschen mit chronischen Erkrankungen auf Verlängerung des Studiendarlehens ab, sagen Asta-Berater*innen
Von Lukas Scharfenberger
Härtefall-Anträge von chronisch kranken Studierenden auf eine Verlängerung des Studiendarlehens Bafög werden im Land Bremen immer häufiger abgelehnt. Das sagt Ulrike Schumann-Stöckert von der Bafög & Sozialberatung des Astas – der Studierendenselbstverwaltung – der Uni Bremen: „Das Amt legt die Regeln einfach restriktiver aus als früher“, sagt sie.
Es geht darum, dass Studierende nach dem vierten Semester nur dann weiter Bafög berechtigt sind, wenn sie 90 von 180 Creditpoints an der Uni gesammelt haben. Studierende mit chronischen Erkrankungen können einen Härtefallantrag stellen, um mehr Zeit für die 90 Creditpoints zu bekommen. Dabei müssen sie nachweisen, dass ihre Krankheit der Grund für die Verzögerung des Studiums ist.
Dieser Nachweis scheint aber nicht so einfach zu erbringen sein. Der Antrag der Studentin Lina Hoffmann* wurde abgelehnt, da sie in den Augen des Amtes nicht nachweisen konnte, dass sich ihr Studium wegen ihrer Krankheit verzögert hat. Seit einem Sportunfall 2014 kann sie kaum noch schreiben oder tippen. Bis zum fünften Semester konnte sie daher nur 75 Creditpoints sammeln. „Beim Bafög-Amt habe ich 2020 mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, Krankenhausaufenthalte und den Nachteilsausgleich vom Prüfungsamt nachgewiesen“, sagt sie. Trotzdem sei ihr Antrag nicht bewilligt worden. „Sie haben gesagt, dass meine Belege keine substanziierte, nachvollziehbare Darlegung zur Schwere der Erkrankung und zu den Wechselwirkung mit dem Studium haben. Ich war entsetzt.“
Der Referent für Kommunikation des für Bafög-Zahlungen zuständigen Studierendenwerks, Maurice Mäschig, weist die Vorwürfe zurück. Und sagt, ihm sei nicht bekannt, dass es Probleme mit den Anträgen von Studierenden mit Beeinträchtigung gäbe.
Der Student Paul Weber* kennt die Probleme hingegen nur zu gut. Der 37-Jährige leidet unter Morbus Bechterew, einer rheumatischen Erkrankung, die unter anderem dazu führt, dass er je nach Wetterlage seine Gelenke nicht bewegen kann. „Ich bin ziemlich wetterfühlig, ein Umschwung ist wie Folter für mich“, sagt Weber. Außerdem hat er ADHS, Legasthenie und ein chronisches Schmerzsyndrom. All das kann er mit Attesten belegen. Bewilligt wird sein Antrag trotzdem nicht. Er hat dagegen geklagt, das Verfahren läuft noch.
Um auf die Missstände hinzuweisen, haben die Asten der Uni und der Hochschule sowie Organisationen für Menschen mit Beeinträchtigungen vor drei Wochen einen gemeinsamen Brief unter anderem an die Senatorin für Wissenschaft und Häfen und die Leiterin des Bafög-Amtes geschrieben.
In dem Brief, der der taz vorliegt, heißt es, dass das Amt mittlerweile nur noch fachärztliche Atteste anerkenne. „Die meisten gehen gar nicht zum Facharzt und haben nur Atteste von ihren Hausärzten und die Terminvergabe braucht manchmal Monate“, sagt Schumann-Stöckert.
Darüber hinaus hätten einige Betroffene berichtet, dass sie nicht nur die Symptomatik ihrer Krankheit beschreiben müssten, wie bisher üblich, sondern von Mitarbeiter*innen des Amtes aufgefordert wurden, ihre Diagnose komplett offenzulegen. Die Mitarbeiter*innen des Bafög-Amtes hätten dann selbst entschieden, ob die Symptomatik das Studium beeinträchtige. Im Studierendenwerk will man das nicht auf sich sitzen lassen: „Es bleibt deutlich zu betonen, dass das Amt für Ausbildungsförderung nicht die Schwere der Krankheit beurteilt“, sagt Mäschig.
Das Schreiben zeigt aber schon erste Wirkung. So sagt der Sprecher der Senatorin für Wissenschaft und Häfen: „Wir nehmen das Schreiben zum Anlass, die Rechtslage, die laufende Rechtsprechung und die Verfahrenspraxis zu prüfen.“
Für die Betroffenen gibt es derzeit einen anderen Ausweg. Seit November sind Härtefallanträge, die sich mit Einschränkungen durch die Pandemie begründen lassen, derzeit zu genehmigen. Davon profitieren auch viele Studierende mit chronischen Erkrankungen. Lina Hoffmanns Antrag wurde mittlerweile bewilligt.
Für Schumann-Stöckert ist das nur ein schwacher Trost, da sich grundlegend noch nichts geändert habe: „Die jetzige Situation ist diskriminierend und nicht vereinbar mit den europäischen Gleichstellungslinien und der Chancengleichheit“, findet sie.
*Die Namen der Betroffenen wurden von der Redaktion geändert.
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