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„Es ist viel einfacher, Fleischgerichte zu produzieren und warm zu halten“

Die Hamburger Ernährungswissenschaftlerin Ulrike Arens-Azevêdo forscht zu Essen auf Rädern. Ein Ergebnis: Die Kund*innen sind meist zufrieden – obwohl die Qualität das gar nicht immer erwarten ließe

Interview Benno Schirrmeister

taz: Frau Arens-Azevêdo, essen alte Menschen gerne schlecht?

Ulrike Arens-Azevêdo: Also das ist so nicht richtig und sehr überspitzt formuliert. Laut unserer Studie zum Thema Essen auf Rädern waren die Kund*innen durchweg sehr zufrieden, aber das Angebot war gesundheitlich nicht so ausgewogen und immer noch fleischdominiert. Was sicher da dran ist: Das Konzept Essen auf Rädern hat Probleme, und dazu gehört zum Beispiel das Salatangebot. Salat muss man gesondert verpacken, das heißt, der Aufwand ist für den Transport höher.

Aus hygienischen Gründen, wegen einer höheren Salmonellen-Gefahr?

Nein, Salat ist nicht riskant. Mikrobiologisch gibt es kein Problem. Salat wird mit Marinaden angemacht, die einen entsprechend niedrigen pH-Wert haben. Das Problem ergibt sich eher aus sensorischer Sicht. Sie können den Salat nicht auf den Teller mitgeben neben dem warmen Essen. Den muss man kühlen, damit er frisch und knackig bleibt.

Also lässt man ihn weg?

Ja, das könnte passieren, auch wenn er von älteren Menschen offenbar gar nicht so sehr vermisst wird. Wobei hier große regionale Unterschiede bestehen. Was sich generell sagen lässt, ist, dass ältere Menschen, zumindest die Generation, die im Moment dazu zählt, bei der Speisenauswahl noch mehr traditionell gebunden sind, als man das von jüngeren Generationen erwarten würde.

Das heißt ...?

Es ist schwierig wenn sich Hochbetagte an neue Speisen oder Lebensmittel gewöhnen sollen. Die Frage ist hierbei, wie das gelingen kann, aber auch: Ist das überhaupt sinnvoll? Das lässt sich ja nicht einfach verordnen.

Nein, das kann ja nicht das Ziel sein ...

Und außerdem hat die ältere Generation auch nicht schlecht im eigentlichen Sinne gegessen. Im Gegenteil: Hier war meist sehr viel Gemüse auf dem Speiseplan, oft auch, je nach Region, viel Vollkorn, wie in Westfalen zum Beispiel. Und dann hatte sie bestimmte Lieblingsspeisen, bestimmte Verhaltensmuster, das klassische Beispiel hierfür ist sicherlich der Braten, den man sonntags serviert hat.

Und bei Essen auf Rädern ist jetzt jeden Tag Sonntag – oder wie kommt diese Fleisch-Überlast zustande?

Aus meiner Sicht ist das eine Folge des Angebotssystems. Es ist viel einfacher, Fleischgerichte zu produzieren und warm zu halten. Wenn Sie gemüsebetonte Gerichte haben, von denen es wunderbare und sehr viele gibt, dann ist ein erhebliches küchentechnisches Know-how notwendig, weil das Ganze transportiert und im Regelfall über einen längeren Zeitraum hinweg warm gehalten werden muss. Da passiert sehr viel mit den einzelnen Zutaten. Einem Gulasch merkt man es nicht an, ob er drei oder fünf Stunden durch die Gegend gefahren wird – warm gehalten, wohlgemerkt.

Aber Gemüse schon?

Einem Brokkoli oder einem Blumenkohl? Aber sicher! Selbst Kürbis oder Möhren, die eine feste Struktur haben, leiden sehr, wenn sie über weite Strecken transportiert werden

Also: Fleisch ist praktisch?

Ja. Wobei zumeist TK-Gerichte großer Hersteller verwendet werden und diese haben längst sehr viel gemüsebetonte Gerichte im Angebot. Die halten das auch in den entsprechenden Mengen vor. Aber die Mahlzeitendienste scheinen noch immer bei der Zusammenstellung ihrer Speisenpläne eher auf Fleischprodukte zurückzugreifen, weil sie die Transportzeiten nicht so einhalten können, wie sie das vielleicht gerne möchten.

Dass viel Tielkühlware verarbeitet wird, ist unproblematisch?

Dagegen spricht nichts, nein. Problematisch ist auch nicht der eigentliche Erhitzungsprozess, sondern die Zeit danach, sofern der Transport über einen langen Zeitraum erfolgt. In diesem Kontext verändert sich die Sensorik – und zwar alles: Nicht nur die Konsistenz, sondern auch die Farbe, und, sehr wichtig: der Geschmack. Nimmt man die Speise aus der Verpackung heraus, gibt es dann noch den sogenannten Mischgeruch.

Was ist das?

Wenn etwas warm lange genug transportiert worden ist, und Sie die Verpackung aufmachen ...

uaaargh!

Das Phänomen haben Sie beim Selberkochen natürlich nicht. Zumal Sie hierbei die einzelnen Komponenten getrennt voneinander zubereiten und erst kurz vor dem Verzehr auf den Teller legen. Bei den angelieferten Speisen sollte die Verpackung entfernt und der heiße Dampf etwas abgelassen werden, dann ist der Mischgeruch verflogen.

Betrifft wahrscheinlich auch besonders: Fischgerichte?

Oh ja. Und auch Kohlgerichte. Zwar nimmt die Geruchssensibilität bei älteren Menschen ab, aber dennoch: Das ist wahrnehmbar. Darüber müsste man wohl schon noch einmal nachdenken.

Nun hatten Sie herausgearbeitet, dass die Kundenzufriedenheit trotz alledem enorm ist. Wäre es da nicht sinnvoll zu sagen: „Und gut ist“ – oder gibt es ein ernsteres Problem?

Wir wissen durch viele Studien, dass eine gesundheitsförderliche Ernährung in jedem Alter sinnvoll ist. Und das Risiko, bestimmte ernährungsmitbedingte Erkrankungen zu erleiden, lässt sich mit einer entsprechenden Ernährung deutlich absenken. Selbst in hohem Alter können die Spätfolgen von ernährungsbedingten Erkrankungen noch immer abgemildert werden. Darüber hinaus: Gesunde Ernährung fördert die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit und die Immunabwehr. Das ist doch für ältere Menschen auch ein wesentlicher Punkt, schließlich lässt sich so auch die Lebensqualität insgesamt verbessern.

Zufriedenheit aber doch auch?

Die Zufriedenheit kommt, das war in unseren Interviews sehr deutlich, von der Tatsache, dass sie überhaupt regelmäßig versorgt werden. Das führt zu enormer Dankbarkeit.

Ulrike Arens-Azevêdo

71, studierte Ernährungs- und Haushaltswissenschaften und arbeitete an der hauswirtschaftlichen Berufsfachschule des Lette-Vereins in Berlin. Von 1989 bis 2015 war sie Professorin an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg und von 2016 bis 2019 Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Ernährung.

Das reicht schon?

Das ist schon ein Wert an sich. Das darf man nicht unterschätzen. Ältere Menschen sind zufrieden, dass jemand kommt, dass es eine Regelmäßigkeit gibt und dass sie auch die Bestellungen flexibel handhaben können.

Interessant wäre, ob sich da was tut – wo doch die Protest-erfahrenen Generationen ins entsprechende Alter kommen. Gibt es Anzeichen dafür, dass sich das ändert?

Mindestens die großen TK-Anbieter haben sich darauf eingestellt, dass jetzt eine andere Generation kommt. Das sieht man an deren Sortimenten, den Möglichkeiten, Komponenten zusammenzustellen und der erheblichen Ausweitung des Angebots pflanzenbetonter Gerichte. Ob sich das aber in der „Essen auf Räder“-Praxis niederschlägt? Wahrscheinlich schon. Wir haben ja so unterschiedliche Lebensläufe, viele sind in ihrem Leben schon im Ausland gewesen, alles das führt dazu, dass die Vorlieben sich auch stark verändert haben.

Wird Corona diesen Wandel beschleunigen?

Ich hätte auch gedacht, dass im Zuge der Coronakrise sich viel in diesem Bereich verändert, die Nachfrage nach diesem Angebot beispielsweise steigt. Aber dazu habe ich aus der Branche nichts vernommen.

Wäre denn damit zu rechnen gewesen?

Theoretisch hätte es sein können.

Auch weil man Menschen der Risikogruppe empfehlen würde: Besser einmal weniger einkaufen gehen …?

Ja, das wäre der Gedanke gewesen. Aber das hat sich so nicht eingestellt.

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