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„Uns geht es doch vergleichsweise wirklich gut“

Während des ersten Lockdowns hat Brigitte Lommel-Overhaus „Die Pest“ und andere Bücher über Seuchen gelesen, so kam sie im ersten Lockdown gut durch die Isolation. Sie ist kürzlich 80 geworden, aber bei Risikogruppe denkt sie vor allem an ihren kranken Mann

Protokoll Manuela Heim

Ach, diese ganzen Verschwörungstheoretiker, das Schlimmste ist jetzt noch QAnon, das wurde ja viel zu spät wahrgenommen. Zum Glück habe ich niemanden in meinem Freundeskreis, ich wüsste gar nicht, wie ich meinen Zorn bremsen sollte. Menschen, die vor Polizisten ausspucken und sagen, so jetzt kriegst du auch Corona! Das hätte ich nicht erwartet, dass Menschen so werden. Aber: Während des ersten Lockdowns habe ich viel gelesen. Ich hab mich mal wieder mit Camus auseinandergesetzt. Sie wissen schon: Die Pest. Und dieses tolle Buch einer amerikanischen Schriftstellerin: 1918. Die Welt im Fieber. Über die Spanische Grippe. Da gab es das alles auch schon. Das ist schon irre, wie sich das wiederholt.

Also mit Lesen kam ich gut durch diese Zeit. Eigentlich ist vor allem mein Mann der Risikopatient, er ist zu 100 Prozent schwerbehindert und hat COPD, eine chronische Atemwegserkrankung. Das ist besonders gefährlich bei Corona.

Vor einem Jahr sind wir nach Berlin gezogen, weil unser Haus nicht behindertengerecht war und mein Sohn hier lebt. Ich wollte schon mein Leben lang nach Berlin.

Damals, als das losging mit Corona, dachten wir, China ist weit weg. Bis dann mein Sohn sagte, das ist jetzt ernst. Dann haben wir uns komplett abgeschottet. Mein Sohn und die Enkel sind für uns einkaufen gegangen – mein Sohn die Lebensmittel, der Enkel hat Bücher gebracht. Das haben sie vor die Tür gestellt, keiner hat unsere Wohnung betreten. Wenn ich doch mal rausmusste, zum Arzt, dann mit dem Taxi. Ich hatte mein Auto verkauft, als ich nach Berlin zog, dann kann ich das Geld ja jetzt ins Taxi stecken. Ich habe mir angewöhnt, immer beim Bestellen zu sagen: Aber bitte eins mit Trennscheibe. Das klappt gut. Inzwischen fahre ich auch wieder Bus, der 184er hält direkt vor unserer Tür.

Ein bisschen zwanghaft kam ich mir vor, weil ich jeden Morgen die Zahlen und die Coronalage nachgelesen habe. Das mache ich immer noch. Aber für mich relativiert sich das alles auch ein bisschen. Ich habe vor einiger Zeit eine junge Armenierin kennengelernt auf einer Studienreise, sie hat uns dann auch besucht, wir haben einen ganz besonderen Draht zueinander. Und nun schrieb sie mir: „Jetzt ist nicht mehr Corona an erster Stelle, sondern der Krieg.“ Das berührt mich wirklich.

Brigitte Lommel-Overhaus ist Pensionärin, war früher im Sonderschuldienst und ist im Juli 80 Jahre alt geworden. Seit fast einem Jahr Berlinerin, wohnt sie mit ihrem Mann in Tempelhof. „Da sieht es mit den Infektionszahlen ja auch nicht so gut aus“, sagt sie.

Da geht es uns doch vergleichsweise wirklich gut. Aber was mir noch einfällt: Ich hatte bis März eine englische Konversationsgruppe in einer Senioreneinrichtung, ich liebe die englische Sprache. Das ist natürlich weggefallen, auch die Kontakte. Und mein Mann hatte mir zu Weihnachten eine Jahreskarte für die Staatlichen Museen geschenkt. Da war ich im Januar einmal im Bodemuseum und das war’s. Aber ich würde das auch als sekundär bezeichnen, für einen überschaubaren Zeitraum können wir das alles aushalten.

Im Sommer war auch mein 80. Geburtstag, da wollte ich eigentlich zum ersten Mal eine richtige große Feier machen. Dann waren aber doch nur mein Sohn, die beiden Enkel, mein Mann da. Ob ich das jetzt für den 90. aufhebe, weiß ich nicht. Meine Mutter ist 102 geworden – aber wie! So alt möchte ich nicht werden, das ist nicht mein Ziel. Wie gefährlich Corona für mich als 80-Jährige ist, damit beschäftige ich mich eigentlich nicht. Wenn man so denkt, ab 60 wird es gefährlich – na dann ist ja auch die Hälfte der Politiker weg. Nein, das führt nicht sehr weit.

Aber wenn es Leute gibt, die meinen, dass wir Alten ja nicht so schützenswert sind, weil wir eh bald versterben … Diese Menschen werden auch alt, das vergessen sie manchmal.“

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