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„50 Prozent der Hamburger Bevölkerung sind berechtigt, eine geförderte Wohnung zu beziehen“

Wohnraum ist knapp, die Mieten explodieren: Tobias Behrens von „Stattbau Hamburg“ über gemeinschaftliches Wohnen und die Vorzüge des bei Spekulanten verhassten Erbbaurechts

Interview Harff-Peter Schönherr

taz: Herr Behrens, in Hamburg hat der Verein „Mieter helfen Mietern“ jüngst mit den Volksinitiativen „Keine Profite mit Boden & Miete“ die Bürgerschaft verpflichtet, sich in Sachen preisgünstiger Wohnraum zu positionieren. Hat dieser Erfolg Sie überrascht?

Tobias Behrens: Überhaupt nicht. Das Thema bewegt ja viele Menschen: Wohnraum ist knapp, die Mieten explodieren. Überrascht hat mich nur, dass die Unterschriften trotz Corona so problemlos zusammengekommen sind.

„Mieter helfen Mietern“ gehört zu Ihren Gesellschaftern. Haben Sie an „Keine Profite mit Boden & Miete“ mitgewirkt?

Nicht direkt, aber wir haben stellenweise ein bisschen Hilfestellung gegeben. Ein paar Verallgemeinerungen der Initiativen fand ich schwierig, aber es ist natürlich nicht leicht, so was auf nur wenige, plakative Sätze runterzubrechen.

„Keine Profite mit Boden & Miete“ fordert, Grundstücke der Stadt nur noch per Erbbaurecht zu vergeben. Zudem müsse der Bau bezahlbarer Wohnungen angeregt werden. Forderungen, die Sie unterschreiben?

Absolut. Wir sind schon lange Freunde des Erbbaurechts; es ist ja ein Instrument, langfristig die Flächennutzung zu steuern. Besonders für kapitalschwache Bauherren bringt es Vorteile. Und was preiswerten Wohnraum angeht: 10.000 neue Wohnungen kommen pro Jahr in Hamburg dazu, ein Drittel davon sind geförderte Mietwohnungen, ein Drittel frei finanzierte, ein Drittel Eigentumswohnungen. Das erste Drittel müsste auf 50 Prozent aufgestockt werden. 50 Prozent der Hamburger Bevölkerung sind ja berechtigt, eine geförderte Wohnung zu beziehen, da wäre das eine gute Analogie. Vor allem viele Neuzuziehende sind Geringverdiener – Studenten, Schüler, Berufsanfänger. Für die sieht es auf dem Wohnungsmarkt richtig schwierig aus.

Wo liegen da derzeit die größten Probleme?

Früher hatte Hamburg eine große Zahl geförderter Wohnungen – knapp 400.000. Aber die schmilzt stark ab; derzeit sind es nur noch rund 80.000 und es fallen jährlich viel mehr Wohnungen aus der Förderung heraus als neue dazukommen. Im frei finanzierten Markt liegen die Preise jetzt schon bei 12 bis 20 Euro pro Quadratmeter, und die Zone der Hochpreismieten breitet sich zentrifugal aus, von der Mitte der Stadt in die Außenbezirke. Unter zwölf Euro pro Quadratmeter bekommt man keine frei finanzierte Wohnung mehr. Viele Haushalte müssen bis zur Hälfte ihres Einkommens für das Mieten und Beheizen einer Wohnung ausgeben. Das ist viel zu viel.

Der Markt, heißt es ja oft, regelt das alles schon selbst. Aber stimmt das?

In den letzten Jahrzehnten war das ja immer die Ansage der Bundesregierung: Der Markt richtet das, der Staat kann das nicht steuern. Das hat zu einer immer größeren Liberalisierung geführt. Aber im Moment dreht sich das langsam wieder; die Missstände in der Wohnraumversorgung sind ja überdeutlich. Viele Städte haben schon in praktische Politik umgesetzt, was „Keine Profite mit Boden & Miete“ fordert. Das Problem ist: Die traditionelle Wohnungswirtschaft schießt total dagegen. Erbbaurechte sind für Spekulanten unattraktiv, irgendwann fällt das Grundstück ja wieder an die Stadt, und das beeinflusst den Preis. Was uns besonders ärgert: Auch die ehemals gemeinnützige Wohnungswirtschaft Hamburgs läuft Sturm. Sie hat sogar gedroht, mit dem Bauen aufzuhören, sich nicht mehr an städtischen Ausschreibungen zu beteiligen, wenn sie im Erbbaurecht vergeben werden. Das ist schon sehr grenzwertig.

Der Name „Stattbau“ klingt, als repräsentiere er eine Programmatik.

Der kommt aus den 80ern, da haben wir uns ja gegründet. Damals wollte die Stadt ganze Viertel abreißen, instandsetzungsfähige Altbauten in Sanierungsgebieten, und dem haben wir entgegengesetzt: Statt Abriss Bauen = Stattbau. Außerdem haben wir ein bisschen abgeschrieben. Zwei Jahre zuvor hatte sich ja die „Stattbau Berlin“ gegründet.

Was ist Ihre Kernaufgabe?

Wir sehen uns als Baubetreuer. Nehmen wir an, da ist eine Baugemeinschaft aus 20 Familien, die noch nie gebaut hat. Die braucht natürlich Beratung. Wir helfen fachunkundigen Bauherren, ihr Bauvorhaben umzusetzen. Die Idee dahinter: Wir halten nichts davon, dass es nur eine Handvoll großer Wohnungsbaugesellschaften gibt. Wir wollen die Stadt der Bürger, die Stadt vielschichtiger Bauherrenschaften. Wir helfen, Grundstücke zu erwerben, Planer zu beauftragen, Finanzierungen sicherzustellen, vor allem im Bereich gemeinschaftlichen, nicht gewinnorientierten Wohnens.

Am 20. November findet der Auftakt Ihrer 14. Hamburger Wohnprojekte-Tage statt. Es geht um Erbbaurechte und Gemeinwohlorientierung. Genau das Thema der Volksinitiativen?

Das hat nicht primär mit diesen Initiativen zu tun; das sind die zentralen Themen, die in den letzten Jahren hier in Hamburg diskutiert worden sind. Viele Kleingenossenschaften suchen Objekte. Aber für viele ist die Umsetzung schwer, denn die Gestaltungsanforderungen der Bezirke, der Stadtplanungsämter, des Oberbaudirektors, sind sehr hoch – was die Kosten hochtreibt. Auch das werden wir diskutieren.

Der Begriff „Gemeinwohl“ gewinnt in der wohnungspolitischen Debatte generell wieder an Bedeutung?

Absolut. Viele denken ja, unsere gemeinschaftlichen Wohnformen sind ein elitäres Lebensmodell, nur ein Lebensstil. Aber das ist falsch. Die Gesellschaft entwickelt sich weiter, und die Standardfamilie mit ihren lebenslangen Bindungen bröckelt dahin. Viele Menschen suchen nach neuen Sozialbezügen, auch für ihr Alter – dies können gemeinschaftliche Wohnformen bieten.

In Berlin hieß es ja: Unternehmen, die mit Wohnraum spekulieren, hohe Mietpreissteigerungen durchdrücken, müssten notfalls enteignet werden. Wie stehen Sie zu dieser Idee?

In Hamburg wird die Diskussion nicht so heiß geführt, und eine Enteignung durchzusetzen, dürfte politisch wie juristisch auch ziemlich herausfordernd sein. Aber ich finde es grundsätzlich richtig, dass man jemandem, der aus Spekulationszwecken Wohnraum verkommen lässt, unnutzbar hält, diesen Wohnraum wegnehmen sollte. Ich finde es wichtig, das zu diskutieren. Das setzt ein ­Signal.

Tobias Behrens

Jahrgang 1955, Studium der Literatur- und Politikwissenschaft in Hamburg, Promotion 1983, danach Geschäftsführer des Stadtteilkulturzentrums „Motte“ und ab 1993 Geschäftsführer der Stattbau Hamburg.

Der Non-Profit-Sektor erfährt derzeit ja ohnehin erhöhte Aufmerksamkeit.

Wir haben in Hamburg 30 alte Genossenschaften, teils bis 100 Jahre alt. Sie halten 130.000 Wohnungen. Bei insgesamt 800.000 ist das eine ziemliche Marktmacht. Noch mal 130.000 Wohnungen hält das städtische Wohnungsunternehmen, die Saga. Hinzu kommt, seit Ende der 70er, eine Gründungswelle neuer Genossenschaften, die wir als „Stattbau“ vielfach mit­entwickelt haben. Das sind 35 kleine Genossenschaften, die größte mit 300 Wohnungen, verwaltet werden sie von der Verwaltungsgesellschaft P 99.

Auch sie ein Kind der „Stattbau“.

Wir haben sie mit zwei anderen Gesellschaftern 1999 gegründet, um die Szene zu stabilisieren und zu professionalisieren. Vor 30 bis 40 Jahren gab es bei den Altgenossenschaften starke Abgrenzungserscheinungen gegen diese jungen Wilden. Aber heute sitzt da eine neue Generation in den Vorständen, die Selbstverwaltungs- und Mitbestimmungswünsche sehr ernst nimmt. Mittlerweile machen wir viele Projekte zusammen.

Wie ist die Chance kleinerer Wohnprojekte in Hamburgs großen Stadterneuerungsgebieten?

Die Zielvorgabe der Stadt ist: 20 Prozent Baugemeinschaften, auch bei Arealen wie Oberbillwerder oder Wilhelmsburg, wo es um Tausende neuer Wohneinheiten geht. Aber das wird zurzeit noch selten erreicht. Immerhin: Wohnprojekte werden jetzt als Qualitätsmerkmale ernst genommen, als Pioniere der Gestaltung ganzer Stadtteile.

Sind Wohnprojekttage wie die Ihren eigentlich selten, bundesweit?

Nein, das ist nicht nur eine Hamburgensie. Mittlerweile gibt es sie in vielen Städten, und das ist natürlich schön.

14. Hamburger Wohnprojekte-Tage: Baugemeinschaften und Gemeinwohl, 20. 11., Bürgerhaus Wilhelmsburg, Hamburg

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