piwik no script img

Medizinskandal kommt vor Gericht

Paolo Macchiarini, der italienische Chirurg und Stammzellforscher, muss sich der Anklage wegen schwerer Körperverletzung in drei Fällen stellen

„Es ist ja selten, dass medizinische Behandlungen vor Gericht landen“

Bosse Lindquist, Journalist

Aus Stockholm Reinhard Wolff

Er war der Chirurg mit der neuen revolutionären Behandlungs­methode. Eine „OP-Sensation“ schwärmte 2013 der Spiegel und der TV-Sender arte kündigte eine Dokumentation zum Thema als „Stück Science-Fiction“ an: „Wissenschaftler entnehmen Stammzellen aus der Hüfte einer Patientin, stellen ein künstliches Organ für sie her und retten ihr damit das Leben.“

Tatsächlich wurde Leben so nicht lange verlängert, und einige Jahre später galt solche „Science-Fiction“ als „größter Skandal der schwedischen Medi­zin­geschichte“. Nun gibt es auch ein juristisches Nachspiel. Die schwedische Staatsanwaltschaft erhob jetzt Anklage gegen den vermeintlichen Starchirurgen Paolo Macchiarini. Der Tatvorwurf: schwere Körperverletzung in drei Fällen.

Der italienische Chirurg Paolo Macchiarini war im Herbst 2010 als Gastprofessor am Stockholmer Karolinska Institut (KI) angestellt worden, um Grundforschung im Bereich der regenerativen Stammzellbiologie zu betreiben. Als Oberarzt und Chirurg am Karolinska-Universitätskrankenhaus sollte er seine Forschungsergebnisse gleich in der Praxis erproben.

Behandelt wurden PatientInnen mit Luftröhrenschäden, denen der italienische Professor mit körpereigenen Stammzellen beschichtete künstliche Luftröhren aus Nano­fasern eingepflanzte. Vorherige Opera­tio­nen an Versuchstieren hatte es nicht gegeben, kein Chirurg hatte bis dahin derartige Eingriffe vorgenommen, es wurde also gleich mit Menschen experimentiert.

Die Methode hielt nicht, was sie versprach. Die drei PatientInnen, denen 2011 und 2012 in Stockholm solche künstlichen Luftröhren eingepflanzt wurden, starben. Die an ihnen vorgenommenen Eingriffe sind nun Gegenstand der Anklage. Diese Eingriffe „hatten nichts mit Krankenbehandlung zu tun“, sagt der zuständige Staatsanwalt Mikael Björk. Auch die Voraussetzungen für Forschungsstudien seien nicht gegeben gewesen. Das, was der Chirurg seinen PatientInnen angetan habe, seien Misshandlungen gewesen, unzulässige und nicht zu rechtfertigende Gesundheitsschädigungen und damit strafbare Körperverletzung. Von einer ebenfalls denkbaren Anklage wegen Tötungsdelikten habe er wegen der damit verbundenen Beweisschwierigkeiten, nämlich „einem deutlichen Ursachen­zusammenhang zwischen Behandlung und Tod“, abgesehen.

Die Justiz hat sich lange Zeit gelassen, um aktiv zu werden. Ein 2016 eingeleitetes erstes Ermittlungsverfahren war 2017 eingestellt worden. Da hatte sich der Macchiarini-Skandal schon zu einem „Karolinska-Skandal“ entwickelt. Denn obwohl sich schon ab 2014 ein Forschungsschwindel abzeichnete, weil die vermeintlichen Ergebnisse, die Macchiarini über seine Operationen in angesehenen Medizinzeitschriften publizierte mit der Realität nicht übereinstimmten, hielt das Institut an dem Chirurgen fest und sprach ihm ausdrücklich das Vertrauen aus.

Im Frühjahr 2016 griff die schwedische Regierung ein. Macchiarini wurde gekündigt. Der Rektor stellte sein Amt zur Verfügung und die gesamte Institutsleitung wurde ausgewechselt.

Im Rahmen der im Dezember 2018 von dem derzeit zuständigen Staatsanwalt erneut aufgenommenen Ermittlungen waren neue Beweise erhoben und Verhöre in mehreren Ländern geführt worden. Macchiarini sei mit den Anschuldigungen konfrontiert worden, berichtet Björk: Er habe jede strafrechtliche Verantwortung zurückgewiesen. Natürlich bestreite sein Mandant die Vorwürfe, sagt Macchiarinis Anwalt Björn Hurtig: „Man unterstellt ihm ja, er habe seinen Patienten absichtlich Schmerzen und Schaden zugefügt.“

Die jetzige Anklage sei für die Angehörigen der verstorbenen Patienten eine Genugtuung, meint der Journalist Bosse Lindquist, Produzent einer dreiteiligen TV-Dokumentation über den Skandal: „Es ist ja selten, das medizinische Behandlungen vor Gericht landen. Aber hier haben wir ja den Fall, dass Menschen regelrecht als Versuchstiere für völlig wirkungslose Attrappen missbraucht worden sind, an denen sie dann starben.“

Aber sollte wirklich nur Macchiarini strafrechtlich verantwortlich sein, wie die Staatsanwaltschaft meint? Was ist mit der Krankenhaus- und Institutsleitung, die ihm die fraglichen Eingriffe erst ermöglichte? Lindquist fordert eine unabhängige Untersuchung: „Schließlich wurden diese Experimente unter Aufsicht einer unserer angesehensten medizinischen Einrichtungen vorgenommen.“ „Ich meine, es gibt mehr Verantwortliche“, sagt auch die Journalistin Yvonne Åstrand, die 2015 eine der ersten Reportagen über den Fall Macchia­rini publiziert hatte: „Die muss man ebenfalls unter die Lupe nehmen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen