Neues Album von Elektronikduo Autechre: Was die Ordnung verwirrt

Starke Zeichen: Das nordenglische Elektronikduo Autechre bringt auf seinem neuen Album „Sign“ die Computer mit abstrahiertem Pop zum Singen.

Rob Brown und Sean Booth von Autechre in einem Heizungskeller

Programmier das mal: Autechre im Serverraum Foto: Balfic

Autechre sind ein Enigma. Seit fast 30 Jahren produziert das britische Elektronikduo Album um Album und all jene Werke kreisen ausschließlich um sich selbst. Autechre sind Autechre sind Autechre – und dafür werden sie geliebt. Von allen Künstler:innen, die in den 1990er Jahren als „intelligente“ Alternative zum Dance­floor-Techno gehandelt wurden, sind Autechre diejenigen mit den treuesten Fans.

Im Internet wird auch die kleinste Klangverschiebung ausgiebig diskutiert, es kursieren grobkörnige Fotos ihrer Studio-Setups, und Hunderte Künstler – die männliche Form ist Absicht – sind durch die beiden dazu motiviert worden, selbst einen Laptop in die Hand zu nehmen. Viele klingen wie Autechre, aber Autechre klingen wie niemand sonst.

Dabei hüten Autechre ihr Geheimnis nicht durch eine elaborierte Form von Privatmythologie, sondern dadurch, dass sie als Personen maximal unauffällig sind. So wie vor drei Jahren, als sie nach einem umjubelten Auftritt in Berlin mit einem Bier an der Wand des Kellerclubs Ohm gelehnt dem Set eines Detroiter Electro-DJs zugehört haben, während auf der Tanzfläche die angereisten Touristen versuchten, ihre Version eines typisch ekstatischen Berlin-Wochenendes auszuleben. Autechre sind Anti-Stars, gerade das macht sie interessant.

Inhumane Collagen

Zusammengefunden haben Rob Brown und Sean Booth Ende Achtziger als Teenager in Nordengland über die gemeinsame Liebe zu HipHop-Mixtapes. Anfangs experimentieren beide mit billigen Drumcomputern und Keyboards und entwickeln so ihre eigene Variante von HipHop: eine Collage aus elektronischen Beats und Melodiefragmenten, die so niemals von einem Menschen gespielt werden könnte. Aber der HipHop von Autechre speist sich nicht aus dem Fundus des Black Atlantic, der langen Geschichte Schwarzer Musik von Sklavengesängen bis Trap, sondern aus ihrem Maschinenpark, den sie anfangs noch mit Lötzinn bearbeitet haben und inzwischen mit Code.

Das Album „Sign“ ist erschienen bei Warp/Rough Trade

Im Zentrum der Musik von Autechre lebt eine Musiksoftware namens Max/MSP. Seit Jahren schon produzieren Sean Booth und Rob Brown damit ihre Stücke, indem sie sich Code-Fragmente per E-Mail zusenden. Anstatt einzelne Sounds erst zu modellieren und anschließend hintereinander zum fertigen Track zu arrangieren, fließt das Generieren von Sequenzen und Sounds in Max/MSP ineinander.

Die Musiker geben Parameter vor, den Rest erledigt die Software. In den letzten Jahren führte das vor allem zu Superlativen: Ihr letztes reguläres Album „Elseq 1-5“ (2016) bestand aus über acht Stunden abstrakter Musik. Seitdem haben sie ein achtstündiges Boxset mit Liveaufnahmen fürs Radio veröffentlicht sowie die Mitschnitte von 35 Konzerten, bei denen sie an den Laptops improvisiert haben.

Ein richtig gutes Popalbum

Ihr neues Album „Sign“ ist dagegen – ja, wirklich – ein Pop­album: elf Stücke, rund eine Dreiviertelstunde lang. Und wie jedes gute Popalbum ist es ein Erlebnis, das kaum zu beschreiben ist. Sprache wirkt schnell unbeholfen, sobald es darum geht, die Musik auf „Sign“ zu übersetzen. Die Abstraktion der Autechre-Soundcollagen legt ebenso abstrakte Metaphern nahe: geometrische Formen, die sich zu Fraktalen ent- und dann wieder zusammenfalten. Oder so ähnlich. Aber all das lässt nur erahnen, wie sich „Sign“ anhört. Dieses Album evoziert eine Euphorie des Ungehörten. Sie speist sich vor allem aus Widersprüchlichkeiten, die ihren Ursprung im Sounddesign von Autechre haben.

Sie beginnen das Album mit den metallischen Kratzsounds von „M4 Lema“. Innerhalb weniger Takte werden diese von warmen Synthesizerflächen umgarnt, während sich von hinten ein Kopfnickerbeat anschmiegt, als wäre er eine Katze auf der Suche nach Körperkontakt. Was aber soll man dabei fühlen? Freude? Melancholie? Ich weiß es nicht – aber keins der acht Stücke auf „Sign“ lässt mich kalt.

Autechre veruneindeutigen auf „Sign“ die affektiven Konven­tio­nen, die sich in den letzten 40 Jahren elektronischer Popmusik eingeschliffen haben. „F7“ beschwört die Peak-Time herauf, den Moment, wenn im Club alle die Hände in die Höhe reißen, weil der DJ die Musik lange stehen lässt. Nur dass Autechre dafür nicht die Bassdrum aussetzen, sondern sie gar nicht erst einführen.

„Schmefd“ nimmt die Melodiefragmente von HipHop-Instrumentals auf, ersetzt die gesampelten Instrumente jedoch durch digitale Sounds, die ihre Künstlichkeit offen ausstellen. Und „gr4“ ist ein Ambient-Track, der seine Wärme nicht aus warmen, ozeanischen Soundflächen zieht, sondern aus der minimalistischen Wiederholung eines schroff verzehrten „Sign“, das die Ordnung der Zeichen verwirrt. Egal, wie und wo man mit dem Hören des neuen Autechre-Albums anfängt: Am Ende ist man nicht die Person, die man am Anfang gewesen ist

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