piwik no script img

„Mir war meine Leistung immer sehr wichtig“

Riem Hussein ist zum dritten Mal zur Schiedsrichterin des Jahres gekürt worden. Sie spricht über Ehrgeiz, Begeisterung für den Fußball und die Theatralik der Männerteams

Hat keine Probleme, sich bei Männerteams Gehör zu verschaffen: Schiedsrichterin Riem Hussein Foto: Chai v.d. Laage/Imago

Interview Marie Gogoll

taz: Frau Hussein, was war das erste Spiel, das sie gepfiffen haben?

Riem Hussein: Ein Spiel von meinem Bruder. Mit achtzehn hatte ich einen Kreuzbandriss, deshalb konnte ich eine Zeit lang nicht spielen. Also habe ich bei einem Spiel von meinem Bruder zugeschaut. Die Teams brauchten kurz vor dem Anpfiff noch einen Schiri und haben mich gefragt. Das habe ich dann trotz Verletzung und in Freizeitkleidung offenbar so unauffällig gemacht, dass niemand gemerkt hat, dass ich gar keine Schiedsrichter-Lizenz hatte. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht. Mit zwanzig habe ich dann die Ausbildung zur Schiedsrichterin gemacht.

Und jetzt gerade sind Sie wieder verletzt?

Ja. Dabei fehlt es mir gerade in emotionaler Hinsicht, auf dem Fußballplatz zu stehen. Ich kann zwar wieder Sport treiben, aber nur ganz moderat auf der Laufbahn oder im Schwimmbecken.

Was vermissen Sie am Fußballplatz?

Den Wettbewerb. Und, dass man mit anderen Sportlern zu tun hat, nicht nur mit sich. Natürlich habe ich auch jetzt das Ziel vor Augen, schnellstmöglich zurück auf den Platz zu kommen, aber ich vermisse es, dass es im Wettkampf um etwas geht.

Spielen Sie selbst Fußball?

Nein, schon mindestens seit zehn Jahren nicht mehr, allein schon wegen der Verletzungsgefahr. Ich möchte die Zweikämpfe im Spiel nicht mehr auf mich nehmen, das ist zu riskant.

Wann haben Sie sich entschieden, dass das Pfeifen wichtiger ist?

Die Entscheidung habe ich mit Mitte 20 getroffen und es war nicht leicht. Ich wollte mich damals in eine andere Richtung weiterentwickeln. Ich habe die Tätigkeit als Schiedsrichterin von Anfang an nicht nur als Hobby betrachtet, mir war meine Leistung immer sehr wichtig. Ich hatte zwar keine unrealistischen Ziele, möchte aber gut sein in dem, was ich mache. Und das erreicht man Schritt für Schritt. Schon nach kurzer Zeit ging es für mich steil bergauf. Sportlich habe ich mich schnell in Sphären bewegt, die ich als Spielerin nicht so leicht erreicht hätte. Irgendwann habe ich mich gar nicht mehr gefragt, ob ich noch Fußball spielen möchte.

Fehlt es Ihnen manchmal trotzdem?

Klar. Beim Pfeifen ist man mehr auf sich allein gestellt. Der Mannschaftssport fehlt mir schon. Mir hat natürlich auch das Tore-Schießen als Stürmerin sehr viel Freude bereitet. Solche Erfolgsmomente hat man als Schiri nicht in vergleichbarer Form – da ist das Ziel, dass man fehlerfrei bleibt.

Werden Schiris weniger wertgeschätzt als Spieler*innen?

In der Außenwahrnehmung ist das sicherlich der Fall. Als Schiedsrichter fällt man insbesondere dann auf, wenn man etwas falsch gemacht hat. Die Mannschaften nehmen einen nicht immer als neutralen Spielleiter wahr. Auch die Öffentlichkeit schaut ganz genau auf die Schiris und mit einem teilweise eher kritischen Blick auf unsere Entscheidungen. Wenn ein Schiedsrichter einen Freistoß nicht erkennt, wird ihm das weniger verziehen als einem Stürmer ein verfehlter Schuss auf ein leeres Tor.

Umso wichtiger also, Schiedsrichter*innen mit Auszeichnungen zu würdigen. Haben Sie damit gerechnet, wieder Schiedsrichterin des Jahres zu werden?

Nein, diese Ehre dreimal zu erlangen, ist wirklich außergewöhnlich. Egal ob zum ersten, zweiten oder dritten Mal: Jede Ehrung ist und war für mich etwas Besonderes und unerwartet.

Unterscheidet es sich, ein Frauen- oder Männerfußballspiel zu pfeifen?

Riem Hussein,40, ist Apothekerin und Schiedsrichterin. Sie pfeift in der Frauen-Bundesliga, der Dritten Liga der Männer und im internationalen Bereich. Dieses Jahr ist sie zum dritten Mal Schiedsrichterin des Jahres.

Ja, das unterschiedet sich schon. Vor allem durch Tempo, Intensität, Aggressivität und auch durch die Reaktionen der Spieler. Oft ziehen Situationen im Herrenbereich Theatralik nach sich, auf die es im Frauenfußball nicht mal eine Reaktion gibt. Unter anderem dadurch muss man im Herrenspiel oft mehr Entscheidungen treffen. Frauenspiele sind aber auch sehr anspruchsvoll.

Haben Sie im Männerfußball manchmal Probleme, ernst genommen zu werden?

Ich pfeife ja jetzt schon lange im Herrenbereich. Viele Spieler kennen mich und wissen, woran sie sind. Mitunter testen die Spieler aus, was sie sich erlauben können, aber das ist ganz normal. Natürlich bin ich als Frau im Profifußball immer noch eine Exotin, zumal ich ja auch nicht besonders groß bin. Aber ich bin ehemalige Fußballerin und bin der Meinung, dass Spieler das in meiner Spielleitung und Zweikampfbeurteilung merken.

Was würden sie jungen Frauen und Mädchen raten, die Schiedsrichterin werden wollen?

Fitness ist unglaublich wichtig. Dazu gehört ja auch ein gesunder Lebensstil mit der richtigen Ernährung und Disziplin in der Vor- und Nachbereitung von Spielen. Um im Herrenbereich mithalten zu können, ist eine gute Fitness gefragt. Außerdem sollte man nicht aufgeben, auch wenn es einmal schlecht läuft. Kritik gehört zum Schiedsrichterdasein dazu. Auch sollte die Bereitschaft vorhanden sein, bestimmte Kompromisse in Kauf zu nehmen.

Welche denn?

Die freie Zeit am Wochenende verbringe ich meistens auf dem Fußballplatz. Unter der Woche geht ebenfalls einige Zeit für das Training drauf. Jungen Frauen würde ich raten, sich auf jedes einzelne Spiel professionell vorzubereiten. So fit zu sein, dass man jederzeit nachts geweckt werden könnte, um einen Leistungstest erfolgreich absolvieren zu können. Man braucht Ehrgeiz, Lernbereitschaft und Kritikfähigkeit. Und es hilft sehr, Fußballerin zu sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen