: Wein allein
Normalerweise wäre nächste Woche die Woche des Weißweins, auch Frankfurter Buchmesse genannt. Die Woche des Weißweins fällt dieses Jahr aber ins Wasser, die Buchmesse ist abgesagt. Jedenfalls „physisch“ – so werden derzeit Veranstaltungen deklariert, in denen sich menschliche Körper gefährlich nahe kommen. Im körperlosen Internet ist dafür so einiges los (siehe Seite 31).
Doch eine Buchmesse ohne Weißwein in der Hand ist wie eine Buchmesse ohne Bü.... ach Quatsch, Bücher spielen auf der Buchmesse eine eher untergeordnete Rolle. Die meisten stehen da ja nur rum, um geklaut oder fürs Fernsehen fotografiert zu werden. Die Hauptrolle spielen Körper. Körper, die sich eng aneinandergeschmiegt durch die Gänge der Messehallen schieben, in Taxischlangen warten, die sich in der Unseld-Villa auf der Treppe, in der Villa Bonn im Foyer oder in Hotelbetten begegnen wollen. Und auch wenn man in der Buchbranche vor allem vom Textkorpus spricht, zieht es die Messeteilnehmenden, ihre Kritiker und Schnorrer vor allem zum Körper des Weißweins. In der Regel steht dieser (oft Spätlese, meist Discounter-Riesling, gelegentlich Pinot Grigio, aber es fragt eh keiner nach) in billige Gläser gefüllt keine zwei Minuten irgendwo rum. Er ist der ständige Messebegleiter, an dem man sich vielleicht deswegen festhält, weil man ansonsten alle anderen ständig verliert und dauernd auf der Suche nach irgendjemandem ist. Deswegen Weißwein. Den muss man nie lange suchen. Und trotzdem, obwohl auch um 2 Uhr morgens noch immer irgendwoher ein Tablett mit einer Batterie halbvoller Weißweingläser an einem vorbeifliegt, greift man nach ihm und schluckt ihn weg, als hätte man drei Jahre Detox hinter sich. Natürlich vor allem deswegen, weil man die Betriebstemperatur halten und so tun muss, als wären die Verlagspartys, Kritikerempfänge und Lesungen eine einzige große Lustveranstaltung mit hohen Anteilen von Champagner, Koks und Rindercarpaccio.
Das halbvolle Weißweinglas – es wird nächste Woche fehlen. Man kann sich freilich ein Glas Weißwein neben seinen Laptop stellen, während man Onlinelesungen guckt. Daneben müsste man aber auch eine Packung Rennie-räumt-den-Magen-auf, zur Not auch Talcid, Riopan, Maaloxan, Pantoprazol oder Omeprazol legen. Nur dann fühlt es sich echt nach Buchmesse an. Doris Akrap
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