Mission Überleben

Die FDP droht aus dem Bundestag zu fliegen und hat ein Männerproblem. Obwohl niemand drüber spricht, gibt es auf dem Parteitag Anzeichen, dass sich etwas ändern könnte

Performen kann Christian Lindner, aber das Funkeln überträgt sich nicht auf seine Partei Foto: dpa

Aus Berlin Jasmin Kalarickal

Christian Linder kann gut performen. Im Slim-Fit-Anzug geht er am Samstag die Treppe zur Bühne hoch, nimmt lässig den Mundschutz ab. „Endlich“, sagt er erleichtert, „endlich wieder ein Bundesparteitag.“

Die FDP wagt in der Pandemie einen Präsenzparteitag. Natürlich mit Hygieneregeln: Maskenpflicht überall außer am Platz, Gäste sind nicht eingeladen. Medienvertreter*innen dürfen von einer Tribüne herab beobachten, wie die FDP aus dem Tief kommen will.

Die Partei liegt in Umfragen momentan bei fünf Prozent und droht bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr aus dem Bundestag zu fliegen. In den vergangen Wochen machte sie vor allem mit Personalquerelen Schlagzeilen: Generalsekretärin Linda Teuteberg, die aus ihrem Amt geekelt wurde. Katja Suding, Hamburger Landesvorsitzende und stellvertretende Bundesvorsitzende, die überraschend bekanntgab, 2021 nicht mehr kandidieren zu wollen. Auch wenn Suding beteuerte, private Gründe zu haben – das alles befeuerte die Debatte, ob die Partei nicht ein gewaltiges Männerproblem hat. Schließlich ist nur ein Fünftel der Parteimitglieder weiblich.

Fest steht: Für die FPD und ihren Vorsitzenden Christian Lindner geht es derzeit um alles. Mission Aufbruch steht auch ganz groß in gelben Buchstaben über der Bühne.

Lindner beginnt seine Rede persönlich als er über die Folgen des Lockdowns redet. Er erzählt von seiner 91-jährigen Oma im Pflegeheim, die keinen Besuch der Familie empfangen konnte. Sein Fazit: Ein zweiter Lockdown darf sich nicht ereignen. Niemand solle vereinsamen. Es brauche daher „intelligente Maßnahmen, die den Gesundheitsschutz mit dem Freiheitsschutz vereinbaren“.

Die Freien Demokraten wollen, das wird klar, mit der Verteidigung der Freiheit punkten. In Zeiten, in denen der Staat fette Rettungspakete schnürt, kann man schlecht einfach nur „weniger Staat“ grölen. Lindner redet also über Meinungsfreiheit und das Recht auf Demonstrationen, aber auch über Verantwortung, an wessen Seite ein Mensch demonstriert. Wer neben Menschen mit Reichskriegsflaggen stünde – „spätestens da muss ein demokratisches Immunsystem angehen“. Mit keinem Wort erwähnt er den politischen Dammbruch der eigenen Partei in Thüringen, als sich Landeschef Thomas Kemmerich mit Hilfe der AfD zum Ministerpräsidenten wählen ließ.

Stattdessen kommt er irgendwann zu einem weiteren Kernthema, der Wirtschaft. Lindner sorgt sich „um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie“ und teilt gegen CDU und SPD aus: Nicht Corona habe die Staatsfinanzen ruiniert, sondern die Große Koalition. Die FDP will ein Auge auf Verschuldung haben, Bürokratie abbauen, eine Steuerreform soll die „arbeitende Mitte“ entlasten.

Aber um das alles umzusetzen, müssten die Freien Demokraten im Bund (mit-)regieren. 2017 ließ Lindner Koalitionsverhandlungen platzen. Ein Trauma bis heute. Für die nächste Bundestagswahl heißt es nun: unbedingt regieren, Verantwortung übernehmen. Über mögliche Koalitionen will Lindner nicht spekulieren, er schließt nur die Zusammenarbeit mit den Linken und der AfD aus.

Nach Lindner spricht noch einmal Linda Teuteberg. Erst im vergangen Jahr auf Vorschlag Lindners gewählt, tritt sie nun auf dessen massiven Druck hin zurück. Nutzt sie ihre drei Minuten zur Generalabrechnung? Nein. Teuteberg verliert kein böses Wort über Lindner, sie erinnert nur allgemein daran, dass die FDP die „Erfahrung im Osten“ stärker berücksichtigen muss. Sie wolle sich für die Bundestagswahl erneut als Spitzenkandidatin in Brandenburg bewerben. Ihr Nachfolger Volker Wissing wird mit über 80 Prozent zum neuen Generalsekretär gewählt. Als Wirtschaftsminister in Rheinland-Pfalz verkörpert er genau das, was die FDP auch im Bund will: Regierungsmacht.

Für zwei vakante Posten im Präsidium wählt der Parteitag zwei Frauen nach. Die Basis scheint die Männerdominanz durchaus als Problem erkannt zu haben, auch wenn keiner darüber spricht. Auffällig ist aber: In der Aussprache wirkt die Redner*innenliste fast wie quotiert. Marie-Agnes Strack-Zimmermann will Rechte und Linke „ganz klein“ halten, Maren Jasper-Winter spricht über Gründerinnen und Lencke Wischhusen mit Baby auf dem Arm über Forschung und Entwicklung. Die Frauen in der FDP wollen mit ihren Inhalten gesehen werden. Wenige Tage vor dem Parteitag hat sich ein neues Frauennetzwerk gegründet, das FDPlerinnen mehr Sichtbarkeit verschaffen soll. Es scheint bereits Wirkung zu zeigen.

In der anschließenden Aussprache wirkt die Redner*innenliste fast wie quotiert

Aber es täuscht auch nicht darüber hinweg, dass die Partei Nachholbedarf in Sachen Diversity hat. Carl Cevin-Key Coste aus Hamburg bittet darum, sich umzuschauen, ob diese Partei denn auch Menschen mit Einwanderungsgeschichte repräsentieren kann. Er ist der einzige, der noch einmal über den Schaden durch Kemmerich spricht. Der Applaus ist verhalten. Genauso wie für Beret Roots aus Nordrhein-Westfalen. Ihr Antrag, auch die Klimakrise in den Leitantrag der FDP aufzunehmen, scheitert. Kritische Stimmen sind nach wie vor rar in der Partei.

Mit großer Mehrheit stimmt der Parteitag für den Antrag der Jungen Liberalen, das Wahlalter für die Bundestagswahl auf 16 Jahre zu senken. Das Schlusswort hält Wissing: Er ist überzeugt, dass die FDP mit Inhalten glänzt und hofft darauf, dass die Funken überspringen.

Aber so richtig glänzt und funkelt die FDP an diesem Wochenende noch nicht.

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