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Fahrradstreifen erfolgreich abgewickelt

Im Kreis Northeim kämpft eine Bürgerinitiative für den Erhalt von Fahrrad­schutzstreifen, die zwei Dörfer miteinander verbinden. Obwohl die Zahl der Unfälle zurückgegangen ist, will das Bundesverkehrsministerium das Modellprojekt beerdigen

Von Reimar Paul

Die gestrichelte Linie und das Piktogramm mit dem Fahrradsymbol sind schon etwas verblasst und abgerieben. Und wenn es nach dem Bundesverkehrsministerium geht, sollen sie ganz verschwinden – und Autos sollen dort, auf der Kreisstraße 641 zwischen dem Dörfchen Heckenbeck und der kleinen Stadt Bad Gandersheim, wieder schnell fahren dürfen. Zurzeit gilt auf dem vier Kilometer langen Teilstück für Pkw, Lkw und Motorräder eine Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h. Eine Bürgerinitiative setzt sich dafür ein, dass das so bleibt. Sie will die Fahrradschutzstreifen und das Tempolimit erhalten.

Die K 641 und zwei weitere Abschnitte im südniedersächsischen Landkreis Northeim, der als „Fahrradregion“ für sich wirbt, waren unter den Strecken, die 2013 für ein bundesweites Forschungsprojekt ausgewählt wurden: Ein links und rechts jeweils 1,5 Meter breiter Schutzstreifen für Fahrräder sollte – verbunden mit der Geschwindigkeitsbeschränkung – zeigen, ob Fahrradfahrer dort sicherer unterwegs sind als ohne die Begrenzung. Für den Bau zusätzlicher Radwege eignen sich die ausgewählten Straßenstücke eher nicht: Zwischen Heckenbeck und Bad Gandersheim verkehren täglich gerade mal rund 700 Autos. Auch Umweltverbände halten Radwege erst ab einem Aufkommen von 3.000 bis 4.000 Kraftfahrzeugen für sinnvoll, schließlich versiegeln auch asphaltierte oder betonierte Radstrecken Natur und Landschaften.

Die Schutzstreifen auf der K 641 würden von den Leuten in Heckenbeck und Bad Gandersheim sehr gut angenommen, sagt Ulrich Schäfer. Die Radler fühlten sich dort sicherer. Schäfer ist Sprecher einer kleinen Gruppe von Aktivisten mit dem etwas sperrigen Namen „Bürgerinitiative für den Erhalt der Fahrradschutzstreifen entlang der K6 41“. Er wohnt selbst in dem 500-Seelen-Dorf Heckenbeck, das ganz im Gegensatz zum drastischen Bevölkerungsrückgang in den meisten ländlichen Regionen seit Jahren einen stetigen Zuwachs der Einwohnerzahl registriert.

Auch dank des Engagements vieler Bürger bietet Heckenbeck eine besondere wirtschaftliche und soziale Infrastruktur – unter anderem mit einer ärztlichen Gemeinschaftspraxis und einer Hebammenpraxis, einem Kulturzentrum, der Freien Schule, einem Kindergarten, einem Bioladen und einer Tischlerei. In Bad Gandersheim befinden sich die weiterführenden Schulen, viele Läden und Kneipen, eine Bibliothek, ein Schwimmbad und es gibt alljährlich die sommerlichen Domfestspiele.

Seit Beginn des Feldversuchs vor sieben Jahren werde die Strecke von immer mehr Radfahrern auf dem Weg in die Schule, zum Einkauf, zur Arbeit oder in der Freizeit in beiden Richtungen genutzt, auch dank Elektrounterstützung, argumentiert Schäfer: „Vor allem für Kinder und Jugendliche sind die Schutzstreifen ein Sicherheitsgewinn. Ganz einfach, weil das Geschwindigkeitsniveau runtergegangen ist und der Radverkehr durch die Markierungen für alle Verkehrsteilnehmenden stets präsent ist.“

Tomas Pütter, ein Mitstreiter aus der Bürgerinitiative, ist nach eigenen Angaben selbst ein Jahr lang täglich auf der Kreisstraße von Heckenbeck nach Bad Gandersheim und zurück geradelt. „Ich habe die Streifen genutzt und genossen“, sagt er. Auch seine elfjährige Tochter fahre mit dem Rad regelmäßig nach Bad Gandersheim, „ohne Schutzstreifen würde sie das nicht machen“. „Keinen einzigen Unfall mit Radfahrern“ habe es auf der Strecke seit Beginn der Probephase gegeben, sagt Pütter. Und weil die Autos nicht mehr so schnell rasten, habe sich gleich von Anfang an die Zahl der Wildunfälle halbiert.

Auch bei den Bürgern und in der Kommunalpolitik ist das Schutzstreifen-Projekt auf Wohlwollen und Zustimmung gestoßen. Eine Unterschriftenliste für den Erhalt der Streifen versammelte innerhalb von nur vier Tagen allein in Heckenbeck fast 130 erwachsene Unterstützer. Bürgermeisterin Franziska Schwarz hat sich ebenso für den Erhalt der Markierungen ausgesprochen wie die Northeimer Landrätin Astrid Klinkert-Kittel und der örtliche SPD-Landtagsabgeordnete Uwe Schwarz. Und auch aus Sicht des niedersächsischen Landkreistages ist nicht verständlich, warum das Projekt Schutzstreifen „klammheimlich beerdigt“ werden soll.

Das bei dem Vorhaben die Feder führende Bundesverkehrsministerium lässt sich von all dem allerdings nicht beeindrucken. In seiner Antwort auf einen offenen Brief der Bürgerinitiative, in der diese die Aufnahme der Schutzstreifen in die Straßenverkehrsordnung fordert, führt Staatssekretär Enak Ferlemann (CDU) Sicherheitsbedenken ins Feld. Er beruft sich dabei auf die wissenschaftliche Auswertung des Versuchs. „Für die Bundesregierung ist die Sicherheit des Radverkehrs ein wichtiges Anliegen“, schrieb Ferlemann, der auch im Bundestag sitzt, Anfang September. Der Abschlussbericht des Modellversuchs belege jedoch, „dass sich die Anlage von Schutzstreifen außerorts nicht objektiv förderlich auf die Verkehrssicherheit auswirkt“.

„Für den Innerortsbereich konnte bereits wissenschaftlich nachgewiesen werden, dass sich Kraftfahrzeugführende bei vorhandenen Schutzstreifen an der Leitlinie orientieren und dadurch oftmals näher an die Radfahrenden heranfahren und diese gefährden“, heißt es dort weiter. Der Modellversuch bestätige diese Erkenntnis auch für den Außerortsbereich, bei überholenden Lkw könne überdies eine „Sogwirkung“ entstehen.

Während sich der Landkreis Northeim dem Druck aus Berlin beugt und sogar bereits die Arbeiten für die Entfernung der Schutzstreifen und der Fahrradsymbole ausgeschrieben hat, mag sich die Bürgerinitiative noch nicht geschlagen geben

Eine solche Sogwirkung gebe es tatsächlich, sagt Tomas Pütter, „das habe ich selbst schon erlebt“. Es sei aber doch so: „Diese Wirkung ist stärker, wenn die Autos schnell fahren. Beim geltenden Tempo 70 ist sie also nicht so stark, als wenn die Fahrer kräftig Gas geben dürfen.“

Im Übrigen, so die Bürgerinitiative, müsse das Verkehrsministerium die Forschungsergebnisse differenzierter auswerten. Die Gutachter befürworteten bei geeigneten Rahmenbedingungen wie einem Tempo-70-Limit auf schwächer belasteten Landstraßen und bei ausreichender Fahrbahnbreite nämlich sehr wohl eine Aufnahme der Schutzstreifen in die Straßenverkehrsordnung. Und überhaupt bestehe hier weiterer Forschungsbedarf.

Während sich der Landkreis Northeim dem Druck aus Berlin beugt und sogar bereits die Arbeiten für die Entfernung der Schutzstreifen und der Fahrradsymbole ausgeschrieben hat, mag sich die Bürgerinitiative noch nicht geschlagen geben. Sie setzt nun vor allem auf das Land Niedersachsen, vor allem auf dessen Verkehrsminister Bernd Althusmann (CDU). Der könne den Versuch mit einer weiteren Ausnahmegenehmigung verlängern, sagt Schäfer. Das habe der Minister schließlich 2018 schon einmal gemacht, als er dem eigentlich auslaufenden Projekt eine Verlängerung gewährte.

Mit dem Hinweis auf die Zuständigkeit des Bundes hat Althusmann das Anliegen zunächst abschlägig beschieden. Mit dem Ende des Modellversuches sei die „Ermächtigungsgrundlage für die Ausnahmegenehmigung“ entfallen, ließ der Minister wissen. „Und somit sind die Schutzstreifen auch wieder zu entfernen.“ Jetzt wollen Schäfer, Pütter und ihre Mitkämpfer den Protest auf die Straße tragen. Im Rahmen eines bundesweiten „Kidical Mass“-Aktionstages wollen sie diesen Sonntag mit möglichst vielen Mitradlern die K 641 in Beschlag nehmen und vom Bad Gandersheimer Rathaus um 13.30 Uhr Richtung Heckenbeck und dann wieder zurück radeln. Gut möglich, dass die Schutzstreifen und Fahrradsymbole dabei noch ein klein wenig mehr abgerieben werden.

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