Gewalt gegen Abschiebungsgegner: Schmerzgriffe nur mit Ansage

Niedersachsens Oberverwaltungsgericht hat einen Polizeieinsatz gegen Abschiebegegner als rechtswidrig bestätigt. Die Begründung mutet skurril an.

ein Polizist mit Pistole am Halfter und Pfefferspray in der Hand

Angekündigtes Reizgas ist okay Foto: Christian Spicker/imago

GÖTTINGEN taz | Ein äußerst ruppiger Einsatz der Göttinger Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) im Frühjahr 2014 gegen Abschiebungsgegner war rechtswidrig. Das hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in einem am Donnerstag bekannt gemachten Urteil festgestellt. Es bestätigte damit eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Göttingen vom Mai 2019 – und wies die Berufung der Polizei ab (Az 11 LA 359/19).

Am frühen Morgen des 10. April 2014 hatten mehrere Dutzende Menschen gegen eine von der Stadt Göttingen angeordnete Abschiebung eines Mannes aus Somalia protestiert. Sie hatten dabei zeitweise das Treppenhaus des Wohnhauses blockiert, in dem der Flüchtling wohnte. Die Göttinger Polizei räumte unter Einsatz erheblicher Gewalt den Treppenbereich.

Mehr als ein Dutzend Menschen seien durch Faustschläge, Schmerzgriffe, Hundebisse und den Einsatz von Pfefferspray im geschlossenen Treppenhaus verletzt worden, berichteten schon damals Augenzeugen der taz. „Die Polizei drang nicht nur durch eine Parterrewohnung in das Haus ein, sondern sie schleppte auch Dutzende zum Teil verletzte und bewusstlose Menschen durch das Fenster des Kinderzimmers hinaus, indem sich sowohl Mutter als auch Kind zu dieser Zeit befanden“, so die Rote Hilfe, ein Verein, der linke Aktivisten unterstützt.

Die Grüne Jugend Göttingen beschrieb den Einsatz als „beängstigend und vollkommen skrupellos“. Protestierende Menschen, die sich untergehakt hatten, seien „geschubst, geschlagen, mit Schmerzgriffen traktiert und in mehreren Fällen die Kellertreppe heruntergeworfen“ worden. Mehrere Demonstranten hätten Beulen, Prellungen und Blutergüsse davongetragen. Die Abschiebung wurde unmittelbar nach dem Einsatz abgebrochen.

Reizgas und Schläge

Die zunächst vom Göttinger Verwaltungsgericht verhandelte Klage eines heute 28-jährigen Mannes richtete sich gegen den unmittelbaren und unangekündigten Einsatz von Reizgas im Treppenhaus sowie den Einsatz unverhältnismäßiger Gewalt in Form von Schmerzgriffen und Faustschlägen gegen seinen Kopf. Durch den Reizgaseinsatz und die Schläge hatte der junge Mann zwischenzeitlich das Bewusstsein verloren und musste von Sanitätern behandelt werden.

Dem Verwaltungsgericht zufolge muss die Polizei die bewusste und gewollte Zufügung erheblicher Schmerzen im Rahmen der Anwendung unmittelbaren Zwanges gesondert und konkret vorher androhen. Dies war nicht erfolgt, so dass der Einsatz bereits aus formalen Gründen rechtswidrig war.

Diese rechtliche Einordnung hat das Oberverwaltungsgericht nun ausdrücklich bestätigt und die Polizeidirektion in seinem Beschluss rechtlich belehrt. Die Polizei hatte in ihrer Berufung gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts noch von Formalismus gesprochen.

Kein Urteil zur Verhältnismäßigkeit des Einsatzes

Zu der eigentlichen Frage der Verhältnismäßigkeit der Anwendung von Reizgas in geschlossenen Räumen gegen eine größere Gruppe von Menschen und die Anwendung von Schmerzgriffen sowie Faustschlägen, um die Blockade eines Treppenhauses zu lösen, hatte sich schon das Verwaltungsgericht nicht mehr äußern müssen. Für das Oberverwaltungsgericht war dies daher auch nicht mehr entscheidungsrelevant.

„Wir hätten uns gefreut, wenn auch über die Frage der Verhältnismäßigkeit der Gewalt der Göttinger BFE an diesem Tag hätte entschieden werden können“, sagte Sven Adam, der Anwalt des 28-Jährigen. Dies werde nun allerdings voraussichtlich das Landgericht Göttingen in der geplanten Schmerzensgeldklage würdigen müssen.

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