Geplante Rückführung in den Kosovo: Angehörige verhindern Abschiebung

Die Göttinger Polizei bricht verbarrikadierte Wohnungstüren mit einer Ramme auf, stoppt den Einsatz dann wegen Unverhältnismäßigkeit.

Polizisten stehen in einem Hausflur

Die Göttinger Polizei wollte jemanden in den Kosovo abschieben, so wie hier 2016 Foto: dpa

GÖTTINGEN taz | Zersplitterte Türen, Rangeleien und Verletzte: In Göttingen ist die Abschiebung eines 18-Jährigen in den Kosovo am Widerstand von Angehörigen gescheitert. Die Familie spricht von einem äußerst gewaltsamen Vorgehen der Polizei. Diese ermittelt nun wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte.

Gegen halb fünf am Montagmorgen tauchte die Polizei vor einer Wohnung in der Göttinger Weststadt auf, in der sich der Mann aufhalten sollte. Dort lebt seit etwa 20 Jahren auch seine Familie. Nach Angaben des „Bündnisses gegen Abschiebungen“ waren die etwa 20 Beamten „schwer bewaffnet“ und vermummt. Statt zu klingeln, hätten sich die Polizisten „direkt mit Gewalt durch einen Rammbock“ Zugang zur Wohnung verschafft. Im Internet kursierende Fotos zeigen zertrümmerte Türen.

Nach Angaben einer Polizeisprecherin waren die Eingangstür und eine weitere Tür von innen mit Gegenständen verbarrikadiert, als die Beamten die Wohnung betreten wollten. Auf mehrmalige lautstarke Aufforderung zum Öffnen und die anschließende Androhung einer zwangsweisen Türöffnung sei keine Reaktion erfolgt, erst dann hätten die Einsatzkräfte eine Ramme eingesetzt. Dabei seien beide Türen beschädigt worden.

„Durch die entstandenen Öffnungen sowie auch aus einem geöffneten Fenster heraus kam es im Anschluss zu körperlichen Angriffen auf die davorstehenden Beamten“, erklärte die Polizeisprecherin weiter. Der Einsatzleiter habe das Vorhaben schließlich aus „Gründen der Verhältnismäßigkeit“ abgebrochen, „weil eine finale Durchsetzung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer Vielzahl von Verletzten geführt hätte“.

Zwei Personen sollen verletzt worden sein

Dagegen berichtet ein Angehöriger, dass die Familie durch Geräusche am Türschloss aufgewacht sei. Weil man zunächst an einen Einbruch geglaubt habe, hätten Familienmitglieder die Türen verbarrikadiert und gerufen, jemand solle die Polizei holen. Die vermeintlichen Einbrecher hätten sich erst dann als Beamte zu erkennen gegeben. Ein anderes Familienmitglied erzählte dem Göttinger Tageblatt: „Wir sind alle psychisch am Ende, das war ein Überfall, wir haben alle ein Trauma. Das war Aggressivität vom Feinsten.“

Beim Auframmen der Tür seien zwei Personen verletzt worden: Die Familienmutter habe blaue Flecke, ein Sohn Prellungen erlitten. Die Beamten hätten zwar gefragt, ob sie einen Krankenwagen benötigten, was die Familie bejaht habe. Eine Ambulanz sei aber nicht gekommen. Auch das stellt die Polizei anders dar: Demnach sei angebotene medizinische Hilfe abgelehnt worden.

Während die Polizei die Rechtmäßigkeit des Einsatzes betont – Grundlage seien eine rechtskräftige Abschiebeverfügung der Stadt Göttingen und ein Durchsuchungsbeschluss des örtlichen Amtsgerichts gewesen –, setzt es vom Bündnis gegen Abschiebungen heftige Kritik: „Wir sind wütend und fassungslos über die Unverhältnismäßigkeit der Gewaltanwendung der Polizei“, so ein Sprecher bei einer kurzfristig angesetzten Kundgebung von Abschiebungsgegnern vor dem Göttinger Rathaus: „Und über die systematische Entrechtung geflüchteter Menschen.“ Gleichzeitig verbucht das Bündnis als Erfolg, „dass die Familie es geschafft hat, sich gegen die Abschiebung zu verteidigen“.

In den vergangenen Jahren haben Unterstützer von Flüchtlingen in Göttingen immer wieder Abschiebungen durch Blockaden ver- oder behindert, teilweise kam es dabei zu massiven Polizeieinsätzen mit Schlagstöcken, Hunden und Pfefferspray. Immer wieder werden Aktivisten auch im Nachhinein angeklagt. Am heutigen Mittwoch beginnt vor dem Göttinger Amtsgericht der Prozess gegen einen Mann, der sich im Mai 2018 an Protesten gegen die Abschiebung eines ehemaligen Fußballprofis aus Simbabwe beteiligt haben soll.

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