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Unterricht auf dem Feld

An einer Grundschule am Rande der Lüneburger Heide bauen Kinder Gemüse an – im Rahmen des Sachkundeunterrichts. 400 solcher „Ackerdemia“-Projekte gibt es

Von Joachim Göres

Inga und Mathilda schneiden mit Messern Salatköpfe ab und wickeln sie in Zeitungspapier. „Soll ich dir helfen, Inga?“, fragt Sönke – er bekommt den Auftrag, die abgeblühte Kresse rauszuziehen und sie aufs Mulchbeet zu werfen, wo Kürbisse und Mais wachsen. Hauke hält eine Pflanze in die Luft und ruft lachend: „Die Radieschen bluten.“ Emil macht sich mit einer Hacke an den Brennnesseln zu schaffen, die gesammelt werden, um aus ihnen Dünger für die Gemüse­beete zu machen. „Brauchen wir nur die Blätter oder die ganze Brennnesel, Frau Heins?“, will er von seiner Lehrerin wissen. Die meisten sind mit großem Eifer dabei – trotz matschigen Bodens, nasser Pflanzen oder stachligen Unkrauts. „Ich ernte am liebsten“, sagt Greta. Hauke stimmt ihr zu und ergänzt: „Ich esse am liebsten Gurken. Hier habe ich auch Fenchel und Mangold kennengelernt, probiert habe ich sie aber noch nicht.“

Zweimal die Woche findet der Sachunterricht an der Eugen-Naumann-Grundschule in Bergen bei Soltau unter freiem Himmel statt, auf einem Feld in der Nähe, das ein Landwirt zur Verfügung gestellt hat. Die Schule ist eine von bundesweit rund 400 Schulen, die mit dem Verein Ackerdemia aus Potsdam zusammenarbeiten. Dieser Verein hat Materialien für Schüler der 3. bis 7. Klasse ausgearbeitet, damit sie zunächst theoretisch einen Einblick in den Gemüseanbau bekommen. Die Ackerdemia-Mitarbeiter nehmen die Flächen in Augenschein, auf denen bis zu 30 Gemüsesorten angebaut werden sollen, und stellen das für den jeweiligen Boden passende Saatmaterial sowie Jungpflanzen zur Verfügung. Dabei wird darauf geachtet, dass durch die Sortenvielfalt das Risiko einer Missernte sinkt – es wird nicht gespritzt, Schädlinge werden mit ökologischen Mitteln bekämpft. Die Klassen werden während eines Schuljahres mehrfach besucht, um sie zum Beispiel bei der Aussaat zu unterstützen.

Der Gemüseanbau findet meist auf dem Schulgelände statt. „100 Quadratmeter wären schön, man kann aber auch mit weniger Platz auskommen“, sagt Marlena Wache. Sie ist bei Ackerdemia Regionalmanagerin für Niedersachsen und Bremen und koordiniert die Arbeit mit den Schulen wie auch mit einigen Kitas, die ebenfalls Gemüse anbauen. Wache nennt eine weitere Voraussetzung: „Pädagogen müssen Lust auf so ein Projekt mit ihrer Klasse haben, das ist entscheidend. Gärtnerische Vorkenntnisse sind nicht notwendig. Wichtig ist zudem, dass es mehrere Lehrer an einer Schule gibt, die sich um den Gemüseacker kümmern.“ Ziel ist es, dass die Schulen den Gemüseanbau nach der mindestens ein Jahr dauernden Betreuung durch Ackerdemia langfristig fortführen. Neben dem Konzept für den Gemüseanbau auf dem Feld bietet Ackerdemia auch den Anbau im Klassenraum an – dabei können im Zeitraum von 20 Wochen Indoor-Beete angelegt werden.

Für Jutta Heins von der Bergener Grundschule geht das Konzept auf. „Die Kinder müssen nicht stillsitzen und dürfen miteinander reden. Sie sind stolz auf das Ergebnis ihrer Arbeit. Sie essen mehr Gemüse und trauen sich in Gemeinschaft auch eher an unbekannte Sorten ran. Sie lernen die ganze Pflanze kennen und nicht nur die Frucht. Und sie verstehen besser, unter welchen Bedingungen Pflanzen wachsen und was beim Gemüseanbau alles bedacht werden muss.“

In den Ferien kümmern sich die Eltern um das zehn mal vierzehn Meter große Feld, auf dem in bunten Beeten Steckrüben, Rauke, Palmkohl, Kartoffeln, Kohlrabi, Lauch, Bohnen und Mohrrüben wachsen. „Die Eltern haben auch entschieden, dass ihre Kinder wöchentlich eine Stunde zusätzlich mit dem Gemüseanbau verbringen“, sagt Heins.

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