Ergebnis von Corona-Modellierungsstudien: Masken und Contact Tracing helfen

Die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus aus dem Frühjahr wirkten sich sehr unterschiedlich auf die Infektionsdynamik aus.

Ein Schüler in Kiel mit Maske.

Max-Planck-Schule in Kiel: Das Tragen von Masken ist doof, aber hilfreich Foto: Foto: Gregor Fischer/dpa

BERLIN taz | Werden die Kitas, Schulen und Universitäten im Herbst oder Winter wieder geschlossen? Die Grenzen erneut dicht gemacht? Versammlungen verboten, Kontaktbeschränkungen erlassen und die Maskenpflicht ausgedehnt?

Das sind Fragen, die berechtigt erscheinen vor dem Hintergrund kontinuierlich steigender Corona-Fallzahlen und der Furcht vor einer sogenannten zweiten Infektionswelle mit Beginn der kälteren Jahreszeit. „Das ist ohne Zweifel besorgniserregend“, sagte der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erst vorigen Mittwoch im Deutschlandfunk und mahnte, jetzt „sehr wachsam“ zu sein.

Wäre die tatsächliche Wirksamkeit einzelner sogenannter nichtpharmakologischer Interventionen (NPI), die während des Lockdowns im Frühjahr zum Einsatz kamen, bekannt, dann ließe sich argumentieren, weshalb manche dieser Maßnahmen demnächst möglicherweise erneut verhängt werden könnten – und andere eher nicht wiederholt werden sollten.

Doch genau zu dieser Frage gibt es bislang nur wenige belastbare empirische Daten. Entsprechende Anfragen der taz, welche Maßnahme aus dem Frühjahr sich wie bewährt habe, ließen das Bundesgesundheits- und das Bundesinnenministerium unbeantwortet.

Das Ministerium von Wissenschaftsministerin Anja Karliczek (CDU) dagegen teilte der taz mit, seit April den Forschungsverbund „Modellgestützte Untersuchung von Schulschließungen und weiteren Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19“, kurz Modus-Covid, mit 1,3 Millionen Euro zu fördern.

Das Projekt, an dem Wissenschaftler der Technischen Universität Berlin, der Humboldt-Universität zu Berlin und des Konrad-Zuse-Instituts Berlin für angewandte Mathematik und High-Performance-Computing beteiligt sind, untersuche die Wirkungen von nichtpharmakologischen Interventionen auf die Infektionsdynamik. Daneben ziele das Vorhaben „auf ein besseres Verständnis von Ausbreitungsdynamiken und Infektionsketten“ ab.

Dazu würden, so das Ministerium, „komplexe mathematische Simulationsmodelle genutzt, um die Infektionsdynamik von Covid-19 im urbanen, regionalen und bundesweiten Kontext zu untersuchen, die Reaktion der Infektionsdynamik auf unterschiedliche Eingriffe zu testen und anschließend eine Bewertung der Wirksamkeit dieser Eingriffe vorzunehmen“.

Kontaktnachverfolgung ist die effektivste Maßnahme

Bislang untersucht wurden unter anderem die Einflüsse von Schul-, Kita- und Universitätsschließungen, die Auswirkungen der Einschränkungen von Freizeit-, Arbeits- und Einkaufsaktivitäten, das Tragen von Masken sowie die Kontaktnachverfolgung infizierter Personen gefolgt von häuslicher Quarantäne.

Dabei prüften die Forscher jeweils, welche Maßnahme zu welcher prozentualen Absenkung der sogenannten Reproduktionszahl R führte. R gibt an, wie viele Menschen ein Infizierter ansteckt. Als Faustformel gilt: Ist R kleiner als eins, stirbt die Infektionsdynamik. Ist R dagegen größer als eins, wächst sie exponentiell.

Die vorläufigen Ergebnisse sind aufschlussreich: Die Kontaktnachverfolgung infizierter Personen, gefolgt von häuslicher Quarantäne, hat sich als effektivste Maßnahme zur Eindämmung des Infektionsgeschehens erwiesen. Den Simulationen zufolge senkte sie das jeweils vorherrschende R um 40 Prozent. „Ein Zusammenbruch der Kontaktverfolgung muss also unbedingt vermieden werden“, appellieren die Forscher in einem Bericht vom 19. Juni an das Wissenschaftsministerium.

Der Lockdown von Kitas, Schulen und Universitäten dagegen hatte offenbar eine nur recht begrenzte Wirkung auf die Infektionsdynamik: „Weiterhin auffallend ist, dass die Bildungseinrichtungen und Kitas eine eher kleinere Rolle spielten“, schreiben die Wissenschaftler. „Eine vollständige Öffnung aller Kindergärten, Schulen und Universitäten würde R laut unseren Simulationen um 10 Prozent erhöhen, diese Wirkung ist geringer als diejenige einer Wiederaufnahme von nur der Hälfte aller Freizeitaktivitäten (Erhöhung von R um 15 Prozent), und deutlich geringer als diejenige einer Aufgabe aller Schutzregeln am Arbeitsplatz (Erhöhung von R um 20 Prozent).“

Bei Schulöffnungen sind die Erwachsenen das Problem

Dabei betonen die Wissenschaftler, dass sie „explizit keine andere Ansteckungsdynamik für Kinder annehmen“. Ihre Ergebnisse beruhten lediglich darauf, dass Schulöffnungen, „verglichen z. B. mit Aktivitäten vom Typ Freizeit oder Arbeit, vor allem deutlich weniger Personen betreffen“.

Allerdings schreiben die Forscher auch, dass die Öffnung der Bildungseinrichtungen möglicherweise „weitere die Infektionsdynamik verstärkende Anschlusswirkungen nach sich ziehen“ würde. Der Grund: Eltern, die ihre Kinder fortan nicht mehr daheim betreuen müssten, würden ihrerseits vermutlich wieder häufiger „an aushäusigen Arbeitsaktivitäten“ teilnehmen. Auch hätten Schulöffnungen möglicherweise „eine Signalwirkung im Sinne von ‚die Gefahr ist überstanden‘“.

Das heißt im Umkehrschluss: Nicht die Schul- und Kitakinder, die über fünf lange Monate keinen Präsenzunterricht hatten, sind das Problem, sondern vielmehr die Erwachsenen.

Masken verlangsamen die Inferktionsdynamik

Das Tragen von Masken führte ebenfalls zu einer merklichen Verringerung der Infektionsdynamik. Die Simulationen zeigten, dass R um 5 Prozent gesenkt wurde, wenn beim Einkaufen sowie im öffentlichen Verkehr die Hälfte aller Personen Stoffmasken und weitere 10 Prozent OP-Masken trugen. Trugen dagegen 90 Prozent aller Personen beim Einkaufen und im öffentlichen Verkehr die weitaus besser schützenden FFP-Masken, dann konnte R um 10 Prozent gesenkt werden. Trugen 90 Prozent aller Personen FFP-Masken bei der Arbeit, dann senkte diese Maßnahme R um 20 Prozent.

Das Bundeswissenschaftsministerium weist darauf hin, dass die Untersuchungen „wie alle Modellierungsstudien Simulationen vornehmen, in denen viele Annahmen eingehen, die empirisch nicht komplett überprüft werden können, sondern auf Erfahrungen und auf der bestehenden Literatur aufbauen“. Insofern gingen die Ergebnisse mit „einer gewissen Unsicherheit“ einher.

Empirische Daten, räumt das Ministerium ein, „wären zuverlässiger, liegen aber nicht vor, da in keinem Land bisher nur eine einzige Maßnahme umgesetzt wurde und zudem Kontrolldaten fehlen“. Niemand könne folglich sagen, was ohne Umsetzung der entsprechenden Maßnahmen passiert wäre.

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