Visar Morina über seinen Film „Exil“: Verunsicherung mündet in Angst

Regisseur Visar Morina erzählt in „Exil“ von einem aus dem Kosovo stammenden Familienvater, der gemobbt wird und zunehmend den Halt verliert.

Szene aus "Exil" - Mann von hinten steht auf einem Hof

Xhafer (Mišel Matičević) in „Exil“ Foto: Alamode Film

Perfektes Timing könnte man es nennen, denn Visar Morinas Film „Exil“ verhandelt Themen, die gesellschaftliche Debatten unserer Zeit bestimmen: Integration, Rassismus, Mobbing, Fremdsein, Ausgeschlossensein. Bei dem renommierten Sundance Festival und der Berlinale lief er mit großem Erfolg, nun kommt „Exil“ ins Kino.

taz: Herr Morina, Sie stammen aus dem Kosovo und leben seit gut 25 Jahren in Deutschland, haben inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft. Fühlen Sie sich nach all diesen Jahren hier zu Hause oder immer noch als Fremder?

Visar Morina: Ich fühle mich in Deutschland zu Hause, ich habe auch kein anderes Zuhause. Heiner Müller hat dazu treffend gesagt: „Heimat ist da, wo die Rechnungen ­ankommen.“

Dennoch kann man sicherlich davon ausgehen, dass Ihr Film zum Teil autobiografisch ist.

„Exil“, Regie: Visar Morina. Mit Mišel Matičević, Sandra Hüller u.a. Deutschland/Belgien/Kosovo 2020, 121 Min.

Indirekt. Ich habe weder einen Bürojob noch drei Kinder. Aber der Film ist insofern autobiografisch, als ich den Boden, aus dem so etwas entsteht, sehr gut kenne. Aber mehr als Kleinigkeiten, bestimmte Si­tua­tionen sind nicht autobiografisch. Wichtiger waren zwei Ereignisse, die entscheidend zur Entstehung des Drehbuchs beigetragen haben. Zum einen die Silvesternacht 2015/16 in Köln. Danach hatte ich das Gefühl, dass die Stimmung im Land gekippt ist. Diese Nacht hat eine gewisse Paranoia ausgelöst. Ohne sie wäre die AfD wohl nicht so stark in den Parlamenten vertreten.

Ich habe zu dieser Zeit dringend eine Wohnung gesucht und habe mich gefragt, was passieren würde, wenn ich mich bei der Bewerbung Gerhard Richter nennen würde, ob dann meine Erfolgsaussichten größer wären. Fairerweise muss man allerdings auch anfügen, dass Köln die Hölle ist, wenn es um Wohnungssuche geht.

Das zweite Ereignis war auf einer Autofahrt von Wien nach Köln, bei der ich eine Stunde an der Grenze festsaß. Ich halte es für eine große Errungenschaft, dass wir uns zumindest in der EU so frei bewegen können, doch diese Selbstverständlichkeit war durch die Flüchtlingskrise fast über Nacht verschwunden. Daran kann man sehen, wie unsicher unsere sogenannte Zivilisation ist, wie schnell etwas ganz anderes Normalität werden kann. Wie etwas, das du für gegeben hältst, für das man Hunderte Jahre gekämpft hat, in kürzester Zeit verschwinden kann.

Ihr Film heißt „Exil“. Eine Definition des Begriffs lautet: die Abwesenheit eines Menschen von der Heimat. Würde das im Umkehrschluss bedeuten, dass die Fremde immer ein Exil bleibt, oder kann sie doch irgendwann Heimat werden?

Visar Morina wurde 1979 im Kosovo geboren, seit seiner Jugend lebt er in Deutschland. Er studierte an der Kunsthochschule für Medien in Köln Regie und Drehbuch. Sein Spielfilmdebüt „Babai“ feierte 2015 auf dem Filmfest München Premiere und war 2016 der Oscar-Beitrag des Kosovo. Morinas zweiter Spielfilm „Exil“ hatte seine Weltpremiere im Frühjahr beim Sundance Filmfestival und lief im Programm der Berlinale.

Ich halte wenig von solchen Zuschreibungen. Ich habe heimatliche Gefühle für Dinge und Orte, denen ich emotional verbunden bin. Meinen ersten Film habe ich an der Kunsthochschule für Medien in Köln gemacht, ich habe ihn ein Jahr lang in sehr hässlichen Räumen geschnitten und habe am Ende gemerkt, dass ich zu diesem Ort einen großen emotionalen Bezug habe.

Heimat ist für mich eher eine Frage der Prägung. „Zu Hause“ ist für mich ein sehr organischer Begriff, der sich sehr schnell verändern kann. In „Exil“ geht es eher darum, dass ein Mensch verunsichert wird und dieser Verunsicherung nachzugehen versucht und sich immer mehr verliert und dass diese Verunsicherung so weit fortschreitet, dass sie in eine Angst mündet, die auch vor einem selbst nicht haltmacht. Er beschreibt die Entfremdung einer Person von sich selbst.

Man könnte die Hauptfigur Xhafer leicht als perfekten Deutschen bezeichnen: leitende Position, Haus, Frau, drei Kinder. Doch der kleine Moment, gleich in der ersten Szene, eine Ratte, die am Zaun hängt, reicht aus, um sein Selbstverständnis, Teil der Gesellschaft zu sein, zu erschüttern.

Nehmen wir eine Situation, in der ich voller Selbstbewusstsein über die Straße gehe. Wenn mir nun aber jemand begegnet, der mich fragt, ob ich mir sicher bin, dass es mir gut geht? Und diese Situation wiederholt sich im Laufe des Tages, sagen wir, dreimal, dann wäre ich spätestens beim dritten Mal verunsichert und würde darüber nachdenken, ob die anderen etwas sehen, was ich nicht sehe. Dann bleibt einem nur die Mutmaßung.

Und wenn man nun einen Platz in der Gesellschaft hat, um den man kämpfen musste, egal ob zum Beispiel als Homosexueller in einer homophoben Gesellschaft oder als Migrant in einer rassistischen, dann wird man leicht verunsichert. Man fühlt sich nicht fremd, aber sucht nach Erklärungen und findet sie nicht.

Das gilt in Ihrem Film auch für Manfred und Urs, zwei deutsche Kollegen von Xhafer.

Ja, für mich sind sie alle drei Teil einer größeren Figur, die unterschiedliche Formen der Ausgrenzung erfährt. Das Schlimme daran ist nun besonders, wenn ich nicht weiß, warum mir etwas geschieht. Wenn mir etwa der Zugang zu einem Klub verweigert wird und mir gesagt wird, dass ich nicht die richtigen Schuhe trage, dann kann ich mich darüber ärgern, aber es ist immerhin eine Erklärung. Aber wenn man mir gar nichts sagt, dann bleibt mir nur der Raum der Mutmaßung. Und das ist beispielsweise bei Manfred so, der quasi aus dem Leben weggelächelt wird, der immer hört: „Gerne, aber jetzt nicht.“ Es geht also eher ums Ausgeschlossensein aus einer Mehrheitsgesellschaft.

Geht es auch um die Schwierigkeit, was man glauben soll? Xhafer wird ja eindeutig gemobbt, manches, was er in seiner Firma erlebt, etwa dass eine Mail nicht ankommt, könnte man als Versehen abtun, aber die Ratten, die auf seinem Tisch liegen, sind echt. Die Schwierigkeit für ihn scheint nun darin zu liegen, nicht zu wissen, woran er ist, so wie seine Frau Nora zu ihm sagt: „Das muss doch nichts damit zu tun haben, dass du Ausländer bist, könnte doch auch sein, dass sie dich einfach als Mensch nicht mögen.“ Diese Ungewissheit macht ihm zu schaffen.

Das macht ihm zu schaffen und da gibt es einen ganz seltsamen Mechanismus, den ich bei anderen, aber zum Teil auch bei mir beobachtet habe: Wenn ich mit einer Unsicherheit konfrontiert werde und keine Antwort gefunden habe, dann fange ich an, mein Verhalten zu über­prüfen und überall nach Indizien zu suchen. Das wirkt dann in den Augen der anderen Menschen erst recht komisch, weil man die Selbstverständlichkeit verliert, das ist ein merk­würdiger Teufelskreis.

Es gibt da einen treffenden Satz: Verzweiflung riecht. Befindet man sich einmal in dieser Schlaufe, dann ist es wahnsinnig schwierig, da wieder rauszukommen. Diese Unsicherheit kann wiederum von anderen ausgenutzt werden, um in bestimmten Situa­tio­nen Macht auszuüben.

Das passiert aber oft auch unbewusst.

Natürlich, ich habe etwa einen inzwischen sehr engen Freund, der, als wir uns noch nicht so gut kannten, aus Unachtsamkeit etwas sagte, was ich als rassistisch empfand. Nachdem ich ihm das gesagt hatte, hat er sich so betroffen gefühlt, dass er mir den ganzen Abend über erklären wollte, wie viele jugosla­wische Freunde er doch eigentlich hat. Er machte es damit jedoch eigentlich nur schlimmer.

Unterschwellige Formen des Rassismus?

Ja. Während des Studiums und auch schon während meiner Schulzeit habe ich zum Beispiel viel gearbeitet und schnell gemerkt, dass es nichts bringt, wenn ich mich schriftlich bewerbe. Ich musste immer hingehen, mich möglichst fein anziehen, so sprechen, wie Goethe gesprochen hat, und beweisen, dass ich kein Affe bin. Und ich rede hier von Nebenjobs, von nicht wirklich beliebten Jobs.

Ähnliches galt auch, wenn ich zur Ausländerbehörde gegangen bin: Möglichst gut anziehen, langsam sprechen, am besten verschachtelt. Und manche Menschen, die so einen Rassismus erfahren, fangen an, zu glauben, was gesagt wird, und beginnen sich als Menschen zehnter Klasse zu fühlen. Dann entsteht eine merkwürdige Unterwürfigkeit: Man will mit jeder Pore seines Körpers dem „Deutschen“ beweisen, dass man nicht gefährlich ist.

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