Merkels Auftritt in Brüssel: Gute Rede, wenig Taten
Flammende Bekenntnisse zu Europa reichen jetzt nicht aus. Merkel muss für ihren Plan kämpfen und vor allem die geizigen Niederländer überzeugen.
N a also, geht doch! Wenn es wirklich darauf ankommt, kann Angela Merkel auch mal ein leidenschaftliches Plädoyer für die EU halten. Ihre erste Rede im Europaparlament seit der Coronakrise enthielt alles, was den Parlamentariern am Herzen liegt: Ein wenig Europa-Pathos, ein Bekenntnis zu den Grundwerten, ein Appell zur Solidarität.
Die EU sei „zu Großem fähig“, erklärte die Kanzlerin bei der Vorstellung ihres Programms für den sechsmonatigen Ratsvorsitz. Sogar den „Aufbruch für Europa“, der schon seit drei Jahren Regierungsprogramm sein sollte, hat sie angesichts der schlimmsten Wirtschafts- und Sozialkrise seit dem 2. Weltkrieg wiederentdeckt.
Leider kommt das alles viel zu spät. Den „Aufbruch“ hätte es schon vor Jahren gebraucht – spätestens 2016, als die Briten der EU den Rücken kehrten. Nun geht es nicht mehr darum, zu neuen Ufern aufzubrechen, sondern den Laden zusammenzuhalten. Die EU ist empfindlich geschwächt, der Zusammenhalt ist akut gefährdet.
Das ist auch Schuld der Kanzlerin, die viel zu lange auf der falschen Seite stand. Vor dem Brexit paktierte sie mit David Cameron, dem Totengräber der britischen Europapolitik. Danach suchte sie die Nähe der „Sparsamen Vier“ und bremste den EU-Reformer Emmanuel Macron aus. Erst jetzt sucht sie den Schulterschluss mit Paris.
Doch ihr Einsatz für den Wiederaufbau-Fonds, den Merkel gemeinsam mit Macron vorgeschlagen hat, lässt zu wünschen übrig. Bei ihrem Kurztrip nach Brüssel traf die Kanzlerin zwar den ständigen EU-Ratspräsidenten Charles Michel und Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Eine Strategie für den Wiederaufbau hatte sie jedoch nicht im Gepäck.
Merkel muss um ihren Plan kämpfen
Wie will sie die „Sparsamen Vier“, allen voran den niederländischen Premier Mark Rutte, überzeugen? Noch im Februar war Rutte ihr engster Partner, als es darum ging, eine Aufstockung des EU-Budgets zu verhindern. Nun hat die Kanzlerin die Fronten gewechselt – und steht in der Pflicht, ihren ehemaligen Verbündeten mitzunehmen.
Das wird nicht leicht. Denn auch sechs Wochen nach dem Merkel-Macron-Vorschlag ist noch so gut wie alles umstritten. Der Umfang des EU-Budgets, die Größe des Wiederaufbaufonds, die Schuldenfinanzierung, die Vergabe von Zuschüssen, die Beitragsrabatte, mögliche neue EU-Steuern: Nirgendwo zeichnet sich eine Einigung ab.
Flammende Bekenntnisse zu Europa und dringende Appelle zu Eile reichen in dieser Lage nicht aus. Merkel muß für ihren Plan kämpfen und die geizigen Niederländer davon überzeugen, dass es auch in ihrem Interesse ist, die EU aus dem Koma zu holen. Ein Treffen mit Rutte an diesem Donnerstag in Berlin bietet eine gute Gelegenheit.
Allerdings spricht wenig dafür, dass sich Merkel mit Rutte anlegen wird. Im Gegenteil: Bei ihrer Rede im Europaparlament sprach sie wiederholt von 500 Milliarden Euro für den Wiederaufbau – und nicht von 750 Milliarden, wie sie die EU-Kommission und das Parlament fordern. Das läßt in Brüssel alle Alarmglocken schrillen.
Will Merkel den Rettungsplan schon wieder eindampfen, noch bevor die Verhandlungen richtig begonnen haben? Lässt sie die historische Chance verstreichen, eine echte, solidarische Wirtschaftsunion aufzubauen, wie sie neuerdings sogar Wolfgang Schäuble fordert? Und was wird aus dem Klimaschutz und dem „European Green Deal“?
Bei ihrer Rede in Brüssel ist Merkel auf diese Fragen kaum eingegangen. Es ging ihr wohl mehr darum, die Abgeordneten gütig zu stimmen. Denn am Ende werden sie einige Kröten schlucken müssen – genau wie beim letzten EU-Budget vor sieben Jahren. Damals setzte Merkel eine kräftige Kürzung durch, Seit’ an Seit’ mit Cameron.
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