Neues Album von Emma Tricca: Leise, aber keine Leisetreterin

Die Welt sollte die eleganten Folkstücke der italienischen Sängerin Emma Tricca hören. Das Album „St. Peter“ spielt mit Feuer und Eis.

Frau mit langen dunklen Haaren und Pony

Emma Tricca ist in Italien geboren und lebt seit Längerem in London Foto: Meredith Jackson Marciano

Ende Juni immer noch oder schon wieder an den Winter denken: Mit einem Hymnus an die kalte Jahreszeit steigt die Songwriterin Emma Tricca in ihr drittes Album „St. Peter“ ein. „Winter, My Dear“ heißt der Song und kristallklar ist sein Adressat. Der Winter, die Heimat dunkler Stürme, wird als Liebhaber gedacht; und verdammt noch mal, er soll bleiben, singt Tricca.

Wobei das wohl nicht ganz ihre Wortwahl wäre, hier zumindest. Die Hymne ist eine gehauchte, sie kommt daher auf einer Sixties-Folkgitarre, mit leichtem Twang, etwas Echo und sehr dezenter Perkussion, und sie zieht die Hörer sofort in den Bann.

Dafür braucht Tricca gerade zweieinhalb Minuten. Einen Song später, der dauert schon fünf Minuten, gesellt sich zum Eis sein Gegenspieler, auch wenn das Feuer als Geist auftritt: „Fire Ghost“, das Anfangstempo bleibt, das Schlagzeug wird gedämpft, die Sounds darüber unruhiger. Mit „Julian’s Wings“ zieht das Album leicht an. Drei Songs, und „St. Peter“ hat seine Betriebstemperatur gefunden, die auf seinen insgesamt zehn Stücken leicht nach oben oder unten reguliert wird, je nach den Bedürfnissen der Geschichten.

Emma Tricca, ihre Urheberin, ist in Italien geboren und lebt seit Längerem in London. „St. Peter“ – seit Kurzem vertreibt Tricca ihr ursprünglich 2018 erschienenes Album über ihre eigene Bandcamp-Seite selbst – wurde zu großen Teilen in den USA, genauer in Hoboken/New Jersey aufgenommen. Die Songs hat Tricca in und zwischen Rom, der britischen Hauptstadt und New York komponiert; es stört die Künstlerin keineswegs, eine wandernde Sängerin genannt zu werden.

Beatnik-Lyrik der Fünfziger, Philosophie und Crepuscolarismo

Zu ihrem Gepäck zählt sie die Beatnik-Lyrik der Fünfziger, hermetische Philosophie und eine literarische Strömung im Italien kurz vor dem Ersten Weltkrieg, die anders als der lautstarke und bekannte Futurismus auf die Melancholie als Programm setzte: Vom Crepuscolarismo ist die Rede, der „Dämmerdichtung“.

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Gitarren, Grübeleien und Gedichte: Die Mischung hat in den Sechzigern einen US-Künstler groß gemacht, der dieser Tage sein neues Album veröffentlicht hat und mittlerweile den Literaturnobelpreis sein Eigen nennen kann: Sicher hat Emma Tricca schon mal Bob Dylan gehört, auf ihrer Facebook-Seite aber referiert sie auf die New Yorker Noiserocker Sonic Youth.

Deren Schlagzeuger Steve Shelley ist für das so zurückgenommene wie effektive Trommeln auf „St. Peter“ zuständig, und das ist gar nicht mal so abwegig. Shelley, der als junger Mensch bei der Hardcorepunkband The Crucifucks trommelte, hat seit 1993 auf seinem eigenen kleinen Plattenlabel Smells Like Records schon des Öfteren Songwriter-Juwelen wie die junge Cat Power und den späten Lee Hazlewood veröffentlicht.

Gastauftritt von Folksängerin Judy Colling

Eine andere verdiente US-Künstlerin kommt kurz vorm Ende von „St. Peter“ ins Spiel: Emma Tricca konnte die Folksängerin Judy Collins dazu bewegen, den Text ihres Songs „Albatross“ neu einzusprechen. Tricca baute Collins’ Rezitation in ein siebenminütiges Stück ein und nannte es „Solomon Said“.

Emma Tricca: „St. Peter“ https://emmatricca.bandcamp.com/ (Dell’Orso Records/Indigo)

Ein Vergleich beider Songs ist interessant: ­Collins’ „Albatross“, 1967 auf ihrem Erfolgsalbum „Wild­flowers“ erschienen, atmet ländliche Feierlichkeit, trotz oder wegen der zunehmend dunklen Bilder des Textes. In Triccas „Albatross“-Anverwandlung klingt Collins’ Sprechstimme abgeklärter, und die Gitarrenschlieren von „Solomon Said“ könnten aus dem Postrock der Neunziger stammen, einem Genre, dessen Musik nicht selten wie durch Punk und Noise gegangene Sechzigerjahre-Psychedelik klang.

Das ist ein ausdrückliches Kompliment. Emma Tricca hat in der Zwischenzeit eine Version von Bert Janschs Folksong „It Don’t Bother Me“ nachgelegt; ihre wunderbare Interpretation legt nahe, dass die Leisen keine Leisetreter sein müssen.

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