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Ein deutlicher Sprung

Corona hievt die Energiewende auf vorübergehende Rekorde. Zweifelhaft ist allerdings, ob die milliardenschweren Förderprogramme von Bund und EU die Wirtschaft auch dauerhaft klimafreundlicher machen werden

Von Bernward Janzing

An den nüchternen Zahlen gemessen, hat Corona der Energiewende einen kräftigen Schub gegeben – wenngleich einstweilen nur temporär. In den ersten fünf Monaten des Jahres 2020 lag der Anteil der Erneuerbaren an der Nettostromerzeugung im öffentlichen Netz in Deutschland bei 55 Prozent. Gut 46 Prozent waren es im Vorjahreszeitraum. Dieser Sprung ist deutlich.

Deutlich ist natürlich auch die Ursache: Weil der Stromverbrauch im Zuge der Corona­krise sank – Mitte Mai waren es in Deutschland 8 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum – drosselten vor allem die Kohlekraftwerke ihre Produktion. Damit lag der CO2-Wert für den deutschen Strommix zeitweise bei nur noch 120 Gramm pro Kilowattstunde gegenüber rund 400 Gramm im Jahresmittel 2019.

Entsprechend geht die Denkfabrik Agora Energiewende in einer ersten Prognose davon aus, dass die CO2-Emissionen in Deutschland im Jahr 2020 mindestens 50 Millionen Tonnen niedriger liegen werden als im Vorjahr. Weltweit betrachtet war der tägliche Ausstoß an Treib­haus­gas im April um 17 Prozent reduziert.

Doch was bleibt von dem Rückgang, wenn die Coronazeit dereinst Geschichte ist? Dass es tatsächlich dauerhafte Effekte für den Klimaschutz geben könnte, lassen Aussagen der Internationale Energieagentur IEA vermuten. Denn die IEA beobachtet gerade einen weltweiten Einbruch der Investitionen in fossile Energieträger. Im Vergleich dazu kommen die Erneuerbaren glimpflich davon. Zudem könnten sie mit ihren zum Teil recht kurzen Planungszeiträumen nach der Krise auch schneller wieder loslegen – etwa die dezentrale Photovoltaik, die recht schnell auf den Dächern installiert ist.

So könnte Corona die Entwicklung der Energiewende forcieren. Zumal sich einschlägige Projekte offenbar lohnen: Eine Analyse des Imperial College London und der IEA zeigte kürzlich, dass in den vergangenen Jahren bei den Investitionen in erneuerbare Energien die Renditen erheblich besser waren, als bei den Projekten fossiler Energieträger. Das betreffe sowohl die USA als auch Großbritannien, Frankreich und Deutschland.

Vor allem könnte die Corona­krise auch die mitunter noch herrschende Angst abbauen, ein Stromnetz mit hohem Anteil fluktuierender Erzeuger – wie Wind und Sonne – gefährde die Systemstabilität. Denn im April gab es Tage, an denen die Erneuerbaren bis zu 78 Prozent des deutschen Strommixes ausmachten. Probleme gab es dabei nicht. Der Trend betraf ganz Europa. In den ersten drei Monaten des Jahres 2020 sei die Stromerzeugung aus Kohle in der EU und Großbritannien im Vergleich zu 2019 um mehr als ein Viertel gefallen, rechnete jüngst der finnische Kraftwerksbauer Wärtsilä vor. Erneuerbare Energien hätten zugleich einen Anteil von 43 Prozent erreicht.

Durch solche Zahlen sieht Wärtsilä die europäische Energiewirtschaft um ein Jahrzehnt nach vorne versetzt. Man habe plötzlich Anteile der Erneuerbaren erreicht, die eigentlich erst zum Ende des Jahrzehnts erwartet worden seien, sagte im April Wärtsilä-Manager Björn Ullbro: Es gebe nun einen Anteil von Ökostrom, „von dem einige glaubten, dass er zu einem Zusammenbruch der Systeme führen würde, aber das ist nicht der Fall – tatsächlich kommen sie gut damit zurecht“. Diese Erfahrung im Umgang mit einem hohen Anteil erneuerbarer Energien sei „Wissen, das von unschätzbarem Wert sein wird, um die Energiewende zu beschleunigen“.

Und doch steht bei allen Prognosen eine große Unsicherheit im Raum. Denn während die aktuellen Umbrüche im Energiemix im Zuge der Coronakrise auf akuten Marktreaktionen aufgrund reduzierter Nachfrage basieren, wird die Entwicklung in den kommenden Monaten und Jahren wieder stark politisch getrieben sein – durch die milliardenschweren Coronahilfen, sowohl auf nationaler wie auf europäischer Ebene. Allein die EU-Kommission will 750 Milliarden Euro ausschütten, die sie sich als Kredit am Kapitalmarkt beschaffen will.

Die Entwicklung in den kommenden Monaten und Jahren wird stark politisch getrieben sein

Mit so viel Geld werden Weichen gestellt. Forderungen, diese gepumpten Milliarden wenigstens im Sinne des Klimaschutzes zu nutzen, gibt es längst: „Für die zu erwartenden Wachstums- und Konjunkturprogramme ist es zwingend, dass diese als grünes Investitionsprogramm konzipiert werden“, forderte jüngst Agora Energiewende. Doch niemand kann sich derzeit sicher sein, ob es wirklich so kommen wird.

Auch in Deutschland steht Klimaschutz bei den Hilfen kaum im Fokus. Das zeigte sich bereits bei den Staatshilfen für die gestrauchelte Lufthansa. Entsprechend gab es Kritik: Nehme man die Zusage der Kanzlerin ernst, dass Coronahilfen konsequent am Klimaschutz auszurichten seien, dann müsse das Rettungspaket nachgebessert werden, sagte nach der Vorstellung Ende Mai Christoph Bals, Geschäftsführer der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch: Die „vage Selbstverpflichtung der Airline“ reiche „definitiv nicht für den ernsthaften Klimaschutz, den wir im Luftverkehr brauchen“.

Und auch das bunte 130-Millarden-Euro-Paket der Bundesregierung, Anfang Juni geschnürt, mag mit Mehrwertsteuersenkung, Kinderbonus und dergleichen aus der großen Gießkanne vieles bewirken. Aber dass es der Energiewende wirklich einen kräftigen Schub geben wird, gilt als unwahrscheinlich. Von „nur schwachen grünen Impulsen“ sprach etwa der Bund für Umwelt und Naturschutz. Germanwatch kritisierte die „kurzfristigen Konsumanreize, die auch fossile Energien billiger machen“. Und die Deutsche Umwelthilfe bemängelte einen „Rückwärtsgang beim Klimaschutz im Gebäudebereich“.

Es könnte also dauern, bis die CO2-Emissionen auch in Nichtkrisenzeiten so niedrig liegen werden wie in den vergangenen Wochen.

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