Besuchsregeln für Bremer Pflegeheime: Wie im Knast

Bundesweit gibt es nirgends so strenge Besuchsregeln für Pflegeheime wie in Bremen. Die Sozialbehörde macht die Träger dafür verantwortlich.

Menschen mit Masken sitzen um einen Tisch im Altenheim.

Ein Altenheim in NRW. In Bremen sind Besuche von zwei Personen nicht erlaubt Foto: Jonas Güttler/dpa

BREMEN taz | Die Corona-bedingten Besuchsregelungen in Bremens Altenpflegeheimen sind die restriktivsten in ganz Deutschland: Das behauptet eine an die Bürgerschaft verfasste Petition, die eine Lockerung der Einschränkungen fordert. Und in der Tat: In Bremen darf lediglich eine feste Bezugsperson ihren Angehörigen besuchen und das auch bloß einmal in der Woche für 45 Minuten – so streng geht’s in keinem anderen Bundesland zu.

Er könne die Besuchszeit nicht einmal selbst terminieren, sagt Kurt V. (Name ist der Redaktion bekannt): „Die Einrichtung, in der meine Mutter lebt, weist mir ein Zeitfenster zu, das mit meinen Arbeitszeiten oft nur sehr schwer zu vereinbaren ist.“ Die 45 Minuten verbringen er und seine Mutter dann mit vier bis fünf weiteren BewohnerInnen und deren Besuch im Speisesaal des Altenheims: „Es gibt keine Privatsphäre und wir stehen unter ständiger Aufsicht“, sagt V.

Seine Mutter durfte nach dem Shutdown nicht einmal mehr im Innenhof der Pflegeeinrichtung spazieren gehen. „Mir wurde gesagt, es gebe ja alle zwei, drei Tage für eine halbe Stunde Hofgang, worauf ich mir nicht verkneifen konnte zu erwidern: Ich glaube, im Gefängnis ist es sogar eine Stunde“, sagt V. Weil er nicht locker ließ, habe die Einrichtung schließlich bei der Wohn- und Betreuungsaufsicht um Erlaubnis gefragt: „Seither darf sie in den Hof, mit Passierschein.“

Das Pflegepersonal, sagt V., reibe sich auf für die alten Menschen, „aber dagegen stehen knallharte kommerzielle Interessen der Betreiber“. So müsse eine Pflegekraft eine Woche lang mit einer simplen OP-Maske zurechtkommen: „Zusätzliche Masken muss sie selbst bezahlen.“ Daneben fehle es massiv an Personal. Die restriktiven Heimregeln begründet V. kurz und bündig: „Es liegt am Geld.“

Keine Konzepte

An den strengen Besuchsregelungen in den Einrichtungen seien die Träger schuld, sagt hingegen Bernd Schneider, Sprecher der zuständigen Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne): „Wir hatten ja weitergehende Lockerungen schon vor über vier Wochen vorgeschlagen, waren aber von den Trägern ausgebremst worden.“

Die Besuchsordnung sei auf deren Intervention in die Verordnung aufgenommen worden. „Die Träger hatten Sorge, dass sie weitergehende Regelungen nicht umsetzen können, schon allein aus personellen Gründen.“ Das Gesundheitsressort und das Ordnungsamt seien dem Willen der Pflegeheimträger gefolgt.

Arnold Knigge, Vorstandssprecher der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (LAG), macht diese Behauptung wütend: „Wir sind damals erst gar nicht einbezogen worden und haben deswegen gesagt: So geht das nicht.“ In der Tat hatte Knigge Anfang Mai moniert, dass es keine Konzepte für die Öffnung der Heime gebe, und schnelle Hilfen gefordert, um das für die Einhaltung der Hygienevorschriften notwendige zusätzliche Personal zu finanzieren. Und schon damals plädierte er für umfassende Testungen in den Einrichtungen.

Das tut er nun mehr denn je, denn voraussichtlich wird der Senat am Dienstag deren weitere Öffnungen beschließen. „Künftig sollen dann täglich bis zu zwei Stunden Besuch ermöglicht werden, was wir auch ausdrücklich begrüßen, aber: Das muss auch personell geleistet werden!“, sagt Knigge. Dafür müsse dringend mit den Pflegekassen verhandelt werden, denn: „Momentan weiß noch niemand, wer das bezahlt.“

Beim Thema Coronatests für Beschäftigte und Neuaufnahmen in Pflegeeinrichtungen liege Bremen ganz weit hinten, sagt Knigge und sieht auch darin einen Grund für die strengen Besuchsregeln. „Uns wird der Schwarze Peter zugeschoben, aber wenn wir künftig Corona-Hotspots werden, weil der Senat seine Hausaufgaben nicht gemacht hat, dann werden wir wieder verantwortlich gemacht“, sagt er.

50-fach höhere Sterblichkeit

Mit seiner Meinung steht Knigge nicht allein: Auch Karin Wolf-Ostermann, Leiterin der Abteilung für Pflegewissenschaftliche Versorgungsforschung an der Uni Bremen, fordert regelmäßige Reihentests in den Einrichtungen. Sie leitet eine Studie, die bundesweit die Situation in Pflegeeinrichtungen und -diensten während der Coronapandemie analysiert. Danach ist die Hälfte aller Covid-19-bedingten Todesfälle in Pflegeheimen gezählt worden, obwohl nur ein Prozent der Bevölkerung dort lebt. Die Sterblichkeit unter Pflegebedürftigen ist damit mehr als fünfzig Mal so hoch wie im Rest der Bevölkerung.

Zwar habe sich, so Wolf-Ostermann, die Versorgung von Pflegeeinrichtungen mit Schutzmaterialien verbessert, dennoch klage immer noch jeder vierte Pflegedienst und jedes sechste Heim über Engpässe. Zudem seien Tests teilweise noch schwer zugänglich. „Die Übermittlung der Ergebnisse erfolgt erst nach drei bis vier Tagen – zu spät, um ihr Potenzial als Teil eines wirkungsvollen Schutzkonzeptes voll zu entfalten.“

Die Sozialbehörde sieht der weiteren Öffnung der Pflegeheime trotzdem zuversichtlich entgegen: „Wir sind der Auffassung, dass in der jetzigen Situation mit täglich sinkenden Fallzahlen an Infizierten die Restriktionen in der jetzigen Form auf keinen Fall mehr zu rechtfertigen sind“, so Bernd Schneider. „Sie bedeuten massive Einschnitte in die Freiheitsrechte der Betroffenen, die – aus unserer Sicht – mit der epidemiologischen Lage in der Bundesrepublik und in Bremen nicht mehr zu rechtfertigen sind.“

Dass eine Ausweitung der Tests unumgänglich ist, scheint aber inzwischen angekommen zu sein: „Es wird präventive Testungen in systematischer Form geben“, sagt Lukas Fuhrmann, Sprecher von Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke). Wie die aussehen, entscheidet sich am Dienstag.

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