Die
ewige
Kolonie

Seit Spaniens faschistischer Diktator Westsahara 1975 Marokko überlassen hat, hält das Königreich eine der letzten Kolonien in Afrika besetzt, entrechtet ihr Volk und beutet seinen Reichtum aus. Unternehmen wie Continental und die Logistik deutscher Häfen helfen dabei43–45

So lang, dass es sogar vom Weltraum aus zu erkennen ist: das Förderband, das das Phosphat von der Mine Bou Craa zur Küste von Westsahara bringtve commons Foto: jbdodane/flickr/creati

Von Benno Schirrmeister

Mal so rum gefragt: Wann haben Sie das letzte Mal Phosphat gekauft? Oder Fischmehl? Die Wirtschaftsgüter, die in der industriellen Landwirtschaft als Dünger und Tierfutter verwendet werden, sind wenig emotional besetzt, stehen nicht so im Rampenlicht, und das erleichtert die Sache. Weil: Auch aufgeklärte Verbraucher*innen engagieren sich eher, wenn ihnen das Thema auf die Pelle rückt. Wenn ungerechter Handel mit Waren getrieben würde, mit den sie etwas anfangen können, und wären es Bananen. Aber Phosphat? Fischmehl? Echt jetzt...

Phosphat wird mit mithilfe des Förderbänder-Know-hows von Continental aus Hannover abgebaut, Fischmehl über Bremens Häfen umgeschlagen, beides kommt aus Westsahara. Dass Welthandel Demokratie und Menschenrechte vorantreiben würde, war mal eine fromme Legende. Dass sich mit ihm Machtverhältnisse verfestigen lassen, ist dagegen logisch: Wer seinen Handelspartner infrage stellt, gefährdet das eigene Geschäft.

Marokko, dafür gibt es deutliche Anzeichen, nutzt das strategisch, um die völkerrechtswidrige Annexion von Westsahara als Fakt zu etablieren. Innerafrikanisch funktioniert das schon super.

Nachdem man 2017 über den eigenen Schatten gesprungen und wieder Teil der Afrikanischen Union geworden ist, bröckelt die Ächtung. Zehn der Mitgliedsstaaten haben seit Jahresbeginn Konsulate in Dakhla eröffnet oder El Aaiún, das eigentlich Laâyoune heißt und Hauptstadt von Westsahara ist. Große Länder sind dabei, wie die Elfenbeinküste oder Zentralafrika. Und auch wenn das noch nicht die volle Anerkennung der Region als südlicher Provinz von Marokko ist, bleibt’s ein Tabubruch.

Algerien, wo viele der von der Küste vertriebenen Sahrauis in Flüchtlingssiedlungen leben, hat protestiert, aber das dürfte Marokko eher freuen. Und wenn Bremens Bürgerschaft versucht, illegale Fischmehl-Einfuhren über die eigenen Häfen aufzuklären, und den Senat fragt, wie er das verhindern will, ist das König Mohamed VI. wohl nicht mal einen Blick auf seine 1,2-Millionen-Dollar-Uhr wert. Denn die Landesregierung kann da wirklich nur auf die Zuständigkeit der EU verweisen.

Immer inniger werden gleichzeitig die Beziehungen zur EU: Beim neuen Fischereiabkommen legt man auf dem Papier sehr viel Wert darauf, wenigstens im Wording die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs aufzunehmen: Der hatte 2016 das Vorgängerabkommen auf Klage der Frente Polisario, so das Kurzwort für die sahrauische politisch-militärische Autonomie-Organisation, für völkerrechtswidrig erkannt.

Diesmal stellen die Partner EU und Marokko in bester kolonialistischer Diktion fest, dass „das Fischereiabkommen aufgrund der positiven sozioökonomischen Auswirkungen für die betreffende Bevölkerung der Westsahara von großem Nutzen sein dürfte“. Wenn die Kolonisierten erst einmal entwickelt worden sind, werden sie es auch so sehen. Und dann dürfen sie am Ende sogar noch mitreden.

Unbestreitbar vernünftiges Interesse

Bis dahin werden allerdings nur die europäischen und marokkanischen Unternehmen befragt, die ihre Belegschaf großteils aus dem Norden und dem Osten Marokkos rekrutieren und in Westsahara ansiedeln. Und die haben ein unbestreitbar vernünftiges Interesse am Betrieb der Fischmehlfabriken von Laâyoune. Nichts, so beteuert der Europäische Rat in seinem Beschluss von März 2019, deutet in dem Abkommen jedenfalls „darauf hin, dass mit ihm die Souveränität oder Hoheitsrechte des Königreichs Marokko über die Westsahara und die an sie angrenzenden Gewässer anerkannt würden“.

Zumal die norddeutsche Hafenindustrie ein massives Interesse an guten Beziehungen zum Alawiden-Reich hat. Der Bremer Hafenbetreiber Eurogate will Anfang Juli noch sein drittes Terminal in Tanger eröffnen, das Marokko-Geschäft gleicht die Einbußen von Hamburg und Bremerhaven aus, es hat Zukunft. Das Land ist ein Perspektiv-Partner, mit dem sucht man keinen Streit.

Man macht ihm sogar symbolische Geschenke: So zeigt das Länder-Informationsportal der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, die früher für Entwicklungshilfe zuständig war, aber seit 2011 fast ausschließlich Wirtschaftsförderung betreibt, Marokko in der Ausdehnung, die König Mohamed vorschwebt: ein langer Streifen von Ouijda bis Mauretanien. Der Berm, der gut 2.500 Kilometer lange, drei Meter hohe, stacheldrahtbewehrte Sandwall quer durchs Land, der die von Marokko kontrollierte Zone vom Rest des Landes trennt, ist hier als Grenze konfiguriert. „Bei der Navigationskarte auf der Länder-Startseite handelt es sich um eine fehlerhafte Darstellung“, erklärt die Pressestelle. „Die Änderung ist beauftragt.“

Solche Fehler passieren. Immer wieder. Auch die Continental AG hatte 2017 eingestanden, dass sie Westsahara versehentlich für einen Teil des Königreichs Marokko gehalten habe, so eine Panne aber auch: Dort nämlich hat das Hannoversche Unternehmen eine STAHLCORD®-ST-2500-Anlage errichtet und wartet sie, ein 11,7 Kilometer langes Förderband für Phosphat aus der Bou-Craa-Mine. Der Vertrag läuft jetzt aus.

Vergangenes Jahr hat die sahrauische Aktivistin Khadja Bedati auf der Aktionärsversammlung dazu aufgerufen, das Engagement dort zu beenden, das noch aus der Zeit herrührt, als das Land Kolonie des faschistischen Spanien war, vor 49 Jahren. Aber sollen die Niedersachsen das Geschäft etwa Michelin überlassen? Die Unterzeichnung des Nachfolgevertrags ist für kommenden Monat geplant.