piwik no script img

Allein zu Hause bleiben fällt auch der Lehrerin schwer

Angelika Wichert-Poser, 62   Foto: privat

Protokoll Felix Zimmermann

Seit dem 13. März bin ich nun zu Hause, also seitdem bei uns in Nordrhein-Westfalen die Schulen wegen der Coronapandemie zunächst geschlossen wurden. Schon das war schwer für mich, da ich speziell für 16 Kinder in den Klassenstufen 7 bis 10 zuständig bin, die stärkeren Förderungsbedarf haben. Vier von ihnen stehen kurz vor dem Abschluss, ich begleite sie bereits seit der 5. Klasse, also seit sechs Jahren. Sie sind mir in besonderer Weise ans Herz gewachsen. Wie alle Kolleginnen und Kollegen auch, habe ich von zu Hause aus versucht, ihnen als Lehrerin für Mathematik und Deutsch zur Seite zu stehen und ihnen Aufgaben und Material zukommen zu lassen. Da diese Kinder oft nur schwer zu erreichen sind, auch weil sie keine gute Ausstattung mit Computern oder anderen Geräten haben, war das von Anfang an schwierig. Jedes Mal, wenn ich ihnen ein Päckchen mit Aufgaben geschickt habe, habe ich gedacht: Wie werden sie das schaffen, so ganz ohne Unterstützung?

Nach den ersten Lockerungen der Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie sind meine vier Zehntklässler nun wieder in der Schule. Wenn ich wollte, könnte ich sie dort auch wieder unterrichten – allerdings mit eigener Zustimmung. Dafür müsste ich ein Formular ausfüllen und könnte den Unterricht weiterführen. Wie gern würde ich sie bis zum Schuljahresende, wenn sie ihren Abschluss machen, begleiten! Wir hatten auch noch einen Ausflug geplant und eine Abschiedsfeier, das entfällt nun.

Denn ich habe mich entschlossen, zu Hause zu bleiben. Ich bin über 60 und gehöre damit zur Risikogruppe. Ich bin da hin- und hergerissen; ich kenne keine Erkrankten, auch in unserer Stadt gibt es wenige Infizierte. Aber wenn ich mich anstecke, was hätte das für Folgen? Zumal ich einen pflegebedürftigen Vater habe. Ich will das Coronavirus auf keinen Fall in meine Familie tragen, also musste ich darauf verzichten, zu meinen Schülern zurückzukehren. Sie werden jetzt von zwei Kollegen unterrichtet, die jünger sind. Bei ihnen sind die vier in guten Händen.

Aber mir fällt das natürlich schwer. Ich fühle mich ausgeschlossen, so ganz allein zu Hause. Mir fehlen die Schüler, mir fehlt der Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen, der Austausch untereinander. Natürlich habe ich Verständnis für die Maßnahmen; aber auch wenn es Hygienepläne gibt, wird es schwierig sein, im Unterricht die nötige Distanz zu halten. Das musste ich akzeptieren. Dreieinhalb Jahre habe ich noch bis zur Rente. Da fällt es mir besonders schwer, dass jetzt Zeit verloren geht. Wenn ich mich nicht anstecken könnte, würde ich sofort wieder hingehen.

Seitdem die vier wieder in der Schule sind, bin ich wenigstens einmal dort vorbeigegangen, um mal zu winken. Das war traurig! Wenn es eine Abschiedsfeier gibt, kann ich mich vielleicht mit Abstand hinten reinsetzen, dann bin ich dabei. Lieber wäre es mir natürlich, wenn ich die Schüler richtig verabschieden könnte.

Und wer weiß, wie es weitergeht. Solange es keinen Impfstoff gibt, zähle ich zur Risikogruppe. Ich hoffe, dass es bald wieder anders sein wird.

Angelika Wichert-Poser, 62, unterrichtet Kinder mit Lernbehinderungen im Inklusionsbereich am Pestalozzi-Gymnasium in Herne im Ruhrgebiet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen