Isolde Charim Knapp überm Boulevard: Bill Gates oder Der schwierige Wohltäter
Die These, Corona hätte dem Staat ein ebenso unerwartetes wie nachdrückliches Comeback beschert – diese richtige These ist auch etwas irreführend. Denn sie überdeckt etwas Wesentliches: Auch ein anderer Akteur und ein anderes Prinzip mischen sich entscheidend in das Geschehen ein.
Diesen Akteur namhaft zu machen in all seiner Ambivalenz ist ein heikles Unterfangen. Nicht weil er so unerkannt oder unbenannt ist. Ganz im Gegenteil: Es fällt schwer, ihn in den Blick zu nehmen, weil die Scheinwerfer der Verschwörungstheoretiker aller Provenienz sich genau an seiner Person bündeln: Bill Gates. Man kann kaum über ihn schreiben, weil so viel über ihn gesprochen wird.
Die Liste der irrationalen Vorwürfe ist lang. Sie reicht von er sei für das Virus verantwortlich bis zur Warnung vor Zwangsimpfungen, die er orchestriere. Und das mündet in der Forderung, ihn zu verhaften. Man muss erst das Grelle all dieser überschießenden Wahnvorstellung eines allmächtigen Strippenziehers ausblenden. Und dann steht man vor der Ambivalenz dieser Figur. Dann steht man vor der Wohltätigkeit des Bill Gates.
Im Industriezeitalter war Philanthropie das Gegenprinzip zum Profit. Die großen Kapitalisten opferten einen kleinen Teil ihres Vermögens – als ob sie damit ihre Sünden abzahlen wollten. Die neue Wohltätigkeit aber, deren uneingeschränkter Pionier – neben Größen wie Mark Zuckerberg – eben Bill Gates ist, ist anders. Es ist ein „Philanthrokapitalismus“. Ein Wohltätigkeitskapitalismus, der ganz offen nach unternehmerischen Grundsätzen funktioniert. Sein Gemeinnutzen artikuliert sich in Geschäftsbegriffen: Da geht es um Zielvorgaben. Um Kosten-Nutzen-Rechnungen. Um Investments und größtmögliche Rendite – nur sei diese eben in geretteten Menschenleben zu zählen. Kurzum: Der Philanthrokapitalismus funktioniert nach derselben Logik wie das Geschäft. Es gilt nicht mehr: Profit oder Wohltätigkeit, sondern Profit und Wohltätigkeit. Das Gute ist nicht mehr das Andere des ökonomischen Erfolgs.
Steuerflucht für das Gute
Bill Gates’Philanthropie ist beeindruckend. Da sind die ungeheuren Summen, die er spendet. Und da ist sein Engagement für die Wissenschaft. Für die New York Times ist er „der meistbewunderte Mensch der Welt“. Unbenannt bleibt die Ambivalenz, die dem innewohnt.
Die Gates Foundation, der größte Spender der WHO, ist erfolgreich darin, Gutes zu tun. Im Kampf gegen Malaria, Aids, Ebola. Das Problem dabei ist nicht, dass dieser Altruismus von Eigennutz getragen wird. Etwa dem Werbeeffekt. (Den hat wohl jede Charity.) Da sind die Interessenkonflikte, die entstehen, wenn die Stiftung Aktien von Unternehmen besitzt, die von deren Projekten profitieren. Etwa von Pharmakonzernen. Aber diese Nähe zur Industrie ist ja genau das, worauf der Philanthrokapitalismus abzielt. Das ist in seinen Augen nicht anrüchig, sondern gewollt.
Aber diese Wohltätigkeit ist eine Steuerflucht eigener Art: Wer spendet, zahlt weniger Steuern – und entzieht so dem Staat Geld für dessen Aufgaben. Damit geht aber die Entscheidungsgewalt über vom Repräsentanten der Öffentlichkeit hin zum privaten Spender. Dieser bestimmt dann über gesellschaftliche Prioritäten. Eine Entscheidung ohne Debatte und ohne Rechenschaftspflicht. Das wird gerade in der gegenwärtigen Suche nach dem neuen Gral einer Corona-Impfung schlagend. Mit unfassbaren Geldmengen soll da die Überlegenheit der Privatwirtschaft über öffentliche Institutionen untermauert werden. Soll die Kapitallogik gegen jene des Sozialstaats in Stellung gebracht werden. Der Philanthrokapitalismus hebelt den öffentlichen Sektor aus – nein: er verwandelt ihn in einen Weltverbesserungskonzern. Ein Komplex, wo wissenschaftliche Expertise, Beschaffungssysteme, Marktkenntnisse seiner Leitung unterstellt werden.
Und das in Coronazeiten, deren Lektion eine ganz andere, eine gegenteilige war. In Zeiten, wo man bitter erfahren hat, wie dieser ungehemmte Geist des Marktes das Desaster befördert. Nun soll gerade von daher Rettung erwachsen? Das heißt: Der Brandbeschleuniger soll das Feuer löschen.
Isolde Charim ist freie Publizistin in Wien
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