Niederlage wäre okay

Angeklagte riskiert Haft, um das Strafrecht zu kritisieren

Der Anwalt hält den Paragrafen 114 für verfassungswidrig

Mit der Zahlung von 300 Euro wäre sie aus dem Schneider gewesen. Aber die Angeklagte lehnte ab und muss sich stattdessen am Dienstag vor dem Amtsgericht Hannover verantworten. Das ist mutig, denn die Staatsanwaltschaft wirft ihr tätlichen Angriff gegen Vollstreckungsbeamte vor. Und das ist keine Lappalie: Mindestens drei Monate Haft stehen darauf.

Bei einer von der AfD angemeldeten Demo im August 2019 lief im AfD-Pulk auch der rechtsradikale Youtuber Henryk Stöckl mit. Per Video dokumentierte er, wie er eine Tschador tragende Muslima rassistisch beleidigt. Die Frau beschimpft Stöckl, Demonstrant*innen springen ihr bei. Die Polizei geht dazwischen und nimmt auch die Angeklagte fest. Sie soll einen Polizisten geschubst haben.

Das gilt seit der Strafrechtsverschärfung 2017 als „tätlicher Angriff“, mit sehr hohem Strafmaß. Viele Strafverteidiger*innen sehen den Paragrafen 114 Strafgesetzbuch kritisch. Anwalt Sven Adam, der die Angeklagte verteidigt, hält ihn gar für verfassungswidrig. Deshalb hätte er nichts dagegen, wenn das Gericht seine Mandantin verurteilt, obwohl er von ihrer Unschuld überzeugt ist. „Wir würden dann durch die Instanzen gehen“, sagt Adam, „bis zum Bundesverfassungsgericht“.

Das Strafmaß, das der Paragraf vorsehe, liege völlig außerhalb dessen, was angemessen wäre. Das sei ein Problem: Aus Angst vor der hohen Strafe akzeptierten viele Beschuldigte eine Strafzahlung, auch wenn sie unschuldig seien. Eine Geldstrafe bedeutet beim „tätlichen Angriff“ mindestens 90 Tagessätze. Wer 1.200 Euro im Monat verdient, zahlt 40 Euro pro Tag – insgesamt dann ganze 3.600 Euro.

Im Sinne seiner Mandantin strebt Adam trotzdem einen Freispruch an, in doppelter Hinsicht. Das heißt, das Gericht würde feststellen, dass die Angeklagte nicht getan hat, was ihr vorgeworfen wird, und dass das Strafmaß ohnehin zu hoch wäre. Die Chancen dafür stünden gut, schätzt Adam. Schließlich habe die Staatsanwaltschaft die Einstellung des Verfahrens für 300 Euro angeboten.

Katharina Schipkowski