Mahnmal bleibt auf der Strecke

Der Bahn AG ist das Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma im Tiergarten beim S-Bahn-Bau im Weg. Zentralrat und andere protestieren gegen möglichen Eingriff, der eine Teilsperrung der Anlage vorsieht

Von Claudius Prößer

Das Denkmal für die im Nationalsozia­lismus ermordeten Sinti und Roma Europas im Tiergarten ist bedroht: Weil in einigen Jahren unter dieser Stelle in der Nähe des Reichstagsgebäudes der neue S-Bahn-Tunnel zwischen Hauptbahnhof und Potsdamer Platz gebaut werden soll, soll die Anlage nach den aktuellen Plänen der Deutschen Bahn AG temporär entfernt oder in Teilen gesperrt werden. Beim Zentralrat Deutscher Sinti und Roma stößt das auf Empörung und Widerstand.

Hintergrund ist der lange unklare und erst Ende Januar festgelegte Verlauf der künftigen S21, die den Hauptbahnhof endlich auch in Nord-Süd-Richtung an das S-Bahn-Netz anschließen soll. Nach Norden hin ist die Verbindung zur Ringbahn fast fertiggestellt, nach Süden stand den Planungen lange Zeit die Frage im Weg, wie der Reichstag unterirdisch umfahren werden soll.

Die Lösung, die schließlich vom Bundestag, dem Land Berlin und der Deutschen Bahn AG vereinbart wurde, sieht vor, dass sich der Tunnel nach der Spree-Unterquerung in zwei Arme spaltet, die westlich und östlich am Parlamentsgebäude vorbeiführen. Südlich davon laufen sie wieder zusammen. Ab hier wird das Tunnelbauwerk in offener Bauweise fortgeführt – und hier steht seit 2012 das Mahnmal für die Sinti und Roma.

An dieses wurde von den PlanerInnen offenbar überhaupt nicht gedacht. Die für seine Betreuung zuständige Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma luden daraufhin Anfang März VertreterInnen der DB, des Bundestags, der Kulturstaatsministerin, der Senatsveraltung für Stadtentwicklung und des Bezirksamts Mitte zu einem klärenden Gespräch.

„Ich habe die Vertreter der DB bei diesem Gespräch gar nicht als stur erlebt, sondern als völlig verblüfft“, erinnert sich die für Grünflächen zuständige Bezirksstadträtin Sabine Weißler (Grüne), die von so viel Nonchalance offenbar selbst verblüfft war: „Die hatten einfach nicht erwartet, dass es problematisch sein könnte, wenn das Mahnmal tangiert wird.“

Anscheinend rückte die DB nach dem Gespräch davon ab, das von dem israelischen Künstler Dani Karavan gestaltete Mahnmal vollständig abbauen zu lassen. Stattdessen würde die Baugrube nun scharf am Rand des kreisrunden Wasserbeckens in der Mitte des Denkmals vorbeiführen, Teile davon wären dann nicht mehr begehbar. Kommuniziert wurde das offenbar nur der Denkmal-Stiftung, nicht aber dem Zentralrat.

Für die Familien der Opfer sei dieser Eingriff nicht akzeptabel, schrieben Zentralrat und Denkmal-Stiftung nun in einem gemeinsamen Brief an den Bahnvorstand, von dem die taz Kenntnis hat. Der Wissenschaftliche Leiter des Zentralrats, Herbert Heuß, bestätigte auf Nachfrage die Existenz des Schreibens und bekräftigte die Sicht seines Verbands, dass auch eine Teilschließung des Mahnmals nicht in Frage komme.

„Das Denkmal ist ein guter und wichtiger Ort für die Sinti und Roma, für Teile der Mehrheitsgesellschaft und für Berlin“, so Heuß zur taz. Viele Angehörige von Opfern suchten es regelmäßig auf, viele Schulklassen gingen dorthin. Die deutschen Sinti und Roma hätten sehr lange um diesen Erinnerungsort kämpfen müssen.

Auch Stadträtin Weißler findet, die derzeitige DB-Planung sei „für die Sinti und Roma eine Katastrophe. Das verstehe ich.“ Sie hoffe noch auf einen neuen Vorschlag der Bahn, könne allerdings nicht nachvollziehen, dass es seit März kein weiteres Gesprächsangebot gegeben habe: „Da hätte man längst schon mal eine Videokonferenz machen können.“

Ob der S-Bahn-Tunnel an dieser Stelle aus technischen oder aus Kostengründen oberirdisch gebaut wird – wofür auch viele Bäume im Tiergarten gefällt werden müssen – ist unklar. Der Konzernbevollmächtigte der Deutschen Bahn für Berlin, Alexander Kaczmarek, war am Freitag nicht zu erreichen.