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Der schwarze Magier

Expressionist, begeisterter Nazi, magischer Realist – und ein rätselhaftes Spätwerk: Eine umfassende Ausstellung im Oldenburger Schloss und eine neue Biografie zeichnen den Lebensweg des Malers Franz Radziwill nach

Von Jan-Paul Koopmann

Die Geschichte vom Magier, der das Zaubern verlernt, ist nur ein Pfad durch Franz Radziwills Lebenswerk. Aber man wird ihn nur schwer wieder los. Nur ein einziger Raum in der biografisch-chronologischen Radziwill-Ausstellung „125 Werke zum 125. Geburtstag“ des Oldenburgischen Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte zeigt den Maler aus Dangast ganz bei sich: beim magischen Realismus, für den er bis heute in Erinnerung geblieben ist.

Es ist die kurze Schaffensphase um 1930, in der er es fertigbringt, selbst einen Pfirsich oder das ummauerte Fenster seines Nachbarn auf eine Weise zu malen, dass man nicht mehr weiß, wie einem geschieht – wo die wirklichkeitsnahe Abbildung banaler Gegenstände irgendwo zwischen Licht, Detailreichtum und Bildkomposition einen halben Schritt aus der Wirklichkeit macht. Wirklich erklären lässt sich das nicht, zu übersehen ist es aber erst recht nicht.

So richtig zu fassen bekommen hat es offenbar selbst der Maler nicht. Oder es ist, wie Museumsdirektor und Ausstellungskurator Rainer Stamm vermutet: dass Franz Radziwill im Verlauf seines Lebens das Vertrauen in die Kraft seiner Arbeit verloren hat und sie eher bemüht mit den später allgegenwärtigen Himmelskörpern, Flugmaschinen und Engeln überladen hat. Radziwill hat sich seine eigene Mythologie gestrickt, hermetisch zwar – andererseits dennoch stets nah an dem, was er an Trends um sicher herum wahrgenommen hat.

Begeisterter Nazi

Aber wie gesagt: Das ist nur eine Geschichte von Franz Radziwill. Über lange Jahre drängender war wohl, dass Radziwill ein Nazi war. Er ist früh und begeistert dabei, scheitert bald mit seinen kulturpolitischen Ambitionen und pendelt sich für die folgenden Jahrzehnte weitgehend ungestört in einem reichlich diffusen Opfer-Täter-Mitläufer-Status ein.

Die Zeiten sind allerdings längst vorbei. Und obwohl die Nazivergangenheit des Künstlers seit ein paar Jahren als beforscht gelten kann, ist gerade jetzt noch mal eine ausgesprochen gute Zeit für die biografische Auseinandersetzung mit dem Künstler.

Zum einen schlägt die Oldenburger Geburtstagsausstellung tatsächlich einen äußerst ergiebigen Bogen vom expressionistischen Frühwerk über die Neue Sachlichkeit und den magischen Realismus zu eben diesem rätselhaften Amalgam im Spätwerk. Da werden auch überraschende Kontinuitäten sichtbar: in wiederkehrenden Mustern, Motiven und Strategien. In der Rückschau wirkt Radziwills in den 1920ern wild überschäumende Experimentierfreude – für den sich freilich auch damals schon Sammler begeistern konnten – fast wie der planmäßige Aufbau eines Arsenals für das gesamte spätere Werk.

Neben der Ausstellung wäre da die Radziwill-Biografie „Wohin in dieser Welt?“ (Mitteldeutscher Verlag, 336 S., 28 Euro), die Politikwissenschaftler Eberhard Schmidt pünktlich zum Jubiläumsjahr vorgelegt hat. Erstaunlich spät, möchte man dennoch sagen, für einen Künstler wie Radziwill, der immerhin seit den 1920er-Jahren Aufsehen erregt und dessen Korrespondenz nach seinem Tod im August 1983 von seiner Familie und der bald gegründeten Radziwill-Gesellschaft akribisch aufbereitet und entschlossen beworben wurde. Die Buch profitiert unübersehbar von diesem Archiv in Dangast: Der Künstler selbst kommt umfassend zu Wort, seine Korrespondenz mit Freunden und Kollegen nimmt weit mehr Raum ein als Deutungen und Verortungen.

Radziwill muss einem nicht leid tun, wenn ihn Zeitgenossen als „Naziwill“ abtun – wirklich nicht. Aber lohnend ist die Auseinandersetzung allemal

Ohne Radziwills Nazivergangenheit zu verleugnen, legt Schmidt doch großen Wert darauf, mit lange kolportierten Fehleinschätzungen aufzuräumen. Dass Radziwill mit seiner Professur an der Kunstakademie Düsseldorf ab Sommer 1933 etwa Paul Klee verdrängt habe, sei so nicht richtig, schreibt er. Klee hatte tatsächlich eine andere Professur inne und wurde auch aus anderen Mitteln bezahlt.

Dass Radziwill durchaus Ambitionen hatte, die neue völkische Kunst der Faschisten mitzubegründen, steht aber außer Frage. Und die Berufung nach Düsseldorf steht dafür, dass er eine Weile auch erfolgreich damit war – bis ihm sein expressionistisches Frühwerk um die Ohren fliegt. Wer so „artfremd“ gemalt hat, befand man, sei vielleicht doch nicht so geeignet, die neue Kunst der neuen Deutschen auf den Weg zu bringen.

In solchen Zusammenhängen ergänzen sich Ausstellung und Biografie hervorragend, weil sie den gleichen chronologischen Weg mit ihren je unterschiedlichen Mitteln nachvollziehen. Umso verblüffender geht es aber dort auseinander, wo es die Geschichte des Oldenburgischen Museums selbst betrifft. Den ersten Radziwill hatte man dort bereits erworben, bevor es das Museum überhaupt gab. Bis heute hat das Haus nicht nur die größte öffentliche Radziwill-Sammlung, sondern auch eine lange Geschichte gemeinsamer Ausstellungen vorzuweisen.

Mit einer Pause allerdings, die in Eberhard Schmidts Buch bedeutend anders klingt als bei Museumsdirektor Stamm. Gründungsdirektor Walter Müller-Wulckow hatte sich mit Radziwill nach anfänglicher Begeisterung in den 1930er-Jahren überworfen und sich bis 1951 standhaft geweigert, Radziwill auszustellen. In Schmidts Biografie ist vor allem die Wut des Künstlers über diese Behandlung nachzulesen. Der Streit selbst, heißt es hingegen eher lapidar, „mag auch damit zu tun haben, dass Radziwill den Stellvertreter Müller-Wulckows, seinen Freund Werner Meinhof, gerne an dessen Stelle als Direktor des Oldenburger Museums gesehen hätte.“

Nur war Werner Meinhof nicht irgendein Konkurrent. Im kürzlich bei der Radziwill-Gesellschaft erschienen Sammelband „Lichtspiele“ (Kerber-Verlag) zeigt Rainer Stamm Herrn Meinhof als entschiedenen Nazi, der mit seinen Intrigen und einem denunziatorischen Versuch, Müller-Wulckow im Amt zu ersetzen, beinahe durchgekommen wäre. Meinhof wiederum hat Radziwill in Artikeln und Reden ausdrücklich auch als nationalsozialistischen Künstler angepriesen, ja geradezu hofiert.

Ambivalenz durchdrungen

Für die Aufarbeitung dieser Geschichte ist übrigens nicht nebensächlich, dass Werner Meinhof der Vater von Ulrike Meinhof war und Jutta Ditfurth bei den Recherchen für ihre Biografie vor ein paar Jahren intensiv auch dem Oldenburger Wirken deren Vaters nachgegangen ist.

Dennoch ist auch Schmidts Buch ausgesprochen verdienstvoll gerade dabei, die persönlichen Verstrickungen des NS-Kulturstreits nachzuvollziehen. Wo an der Oberfläche vor allem Goebbels und Alfred Rosenberg mit seinem „Kampfbund für deutsche Kultur“ um die Deutungsmacht über NS-konforme Kunst konkurrierten, bewegen sich schließlich auch unzählige komplexe Künstlerfiguren wie Radziwill oder etwa auch Bernhard Hoetger, der Umgestalter der Bremer Böttcherstraße.

Wo es, grob gesagt, um die Möglichkeit einer völkischen Moderne geht, spielt Oldenburg auch deshalb eine besondere Rolle, weil man dort so früh und viel NSDAP gewählt hat. Mit diesen „Erfolg“ im Gepäck hatte Gauleiter Carl Röver großes Gewicht in der noch zu erfindenden Volksgemeinschaft und war entschlossen, den Nordwesten Deutschlands als Keimzelle des Germanisch-Deutschen zu etablieren. Dafür brauchte er Prominente wie Radziwill, der seinerseits auch vom Schutz des Provinzfürsten profitierte.

Auch wenn dieser Kulturkampf mit Hitlers Machtwort von 1936 an der Oberfläche als befriedet gelten kann, brodelt er doch weiter – mit kuriosen Folgen, wie das Oldenburger Landesmuseum kaum pointierter zeigen könnte, als mit diesen beiden Dokumenten in einer Vitrine: Da liegt eine Liste als „entartet“ beschlagnahmter Bilder Radziwills direkt neben den Teilnehmern von Rövers großer „Gau-Ausstellung“ ein paar Jahre später. Auch hier ist Radziwill vertreten.

Ambivalenz nicht einfach hinzunehmen, sondern zu durchdringen, ist der Anspruch, den Ausstellung wie Buch behaupten. Und es gelingt biografisch wie in der Ästhetik, wo auch Radziwills Kriegsbilder sich nicht ernsthaft als propagandistisch bezeichnen lassen. Sie sind zu düster für den Heroismus, sperren sich in ihrer Komplexität aber auch gegen damals populären Todeskitsch. Radziwill muss einem nicht leid tun, wenn ihn Zeitgenossen als „Naziwill“ abtun – wirklich nicht. Aber lohnend ist die Auseinandersetzung allemal: und das nicht trotz, sondern wegen der Nazis. Na ja, und ein bisschen für die hübsche Zauberei.

„Franz Radziwill. 125 Werke zum 125. Geburtstag“: bis 23. 8., Oldenburger Schloss

„Franz Radziwill. Lichtspiele“: bis 10. 1. 21, Dangast, Franz-Radziwill-Haus

Eberhard Schmidt: „Wohin in dieser Welt? Der Maler Franz Radziwill“, Mitteldeutscher Verlag 2020, 332 S., 28 Euro

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