„Alle wollen doch ein lachendes Smiley“

Eine Betriebsrätin in einem Krankenhaus im Norden erzählt, wie sie die Privatisierung erlebt hat. Der Patient stehe nicht mehr im Mittelpunkt, es gehe nur noch um Fallzahlen

Von Marthe Ruddat (Protokoll) und Imke Staats (Zeichnung)

Ich erinnere mich an eine Versammlung, ganz zu Beginn, als das Krankenhaus gerade übernommen worden war. Da hat sich die neue Geschäftsführung vorgestellt. Der Saal war rappelvoll, die Leute saßen auf den Stufen, manche mussten stehen. An dem Tag habe ich das erste Mal den Begriff „Die geschlossene Auster“ gehört. Ich konnte damit erst mal gar nichts anfangen, aber dann wurde klar: Alles bleibt im Betrieb, nichts dringt nach außen. Ich habe das so verstanden, dass Kritik nicht nach außen gehen soll, auch nicht zu den Gewerkschaften.

Ich bin völlig unpolitisch erzogen worden. Deshalb habe ich mich anfangs auch gar nicht so für Berufspolitik interessiert. Nachdem ich meine Ausbildung zur Krankenpflegerin gemacht habe, das war in den Achtzigern, habe ich irgendwann auf einer Station gearbeitet, auf der ein Kollege aus dem Personalrat gearbeitet hat. Ich fand das irgendwie interessant, so bin ich dann über die Gewerkschaft in die Berufspolitik gekommen und heute Betriebsrätin.

Ich wollte nicht, dass ein privates Unternehmen das Krankenhaus übernimmt. Wie sehr man mit Gesundheit Geld verdienen kann und wie schlecht das für die Patienten und das Personal ist, das wusste ich damals noch nicht. Aber ich fand schon immer: Gesundheit gehört in öffentliche Hände.

Im ersten Jahr nach der Übernahme hat sich das Unternehmen auch noch recht moderat verhalten. Nach meiner Erinnerung hat sich das Führungsverhalten dann aber total verändert. Stationen wurden geschlossen. Es wurde erwartet, dass sich die Führungskräfte anpassen. Wenn sie das nicht getan haben, wurden sie ganz schnell ausgetauscht. Der Arbeitgeber hat angefangen, Kollegen zu kündigen. Das gab es so vorher nicht.

Die Begründungen waren unterschiedlich, aber es ging um Leute, die dem Arbeitgeber zu wenig angepasst waren oder sich mit sachlicher Begründung widersetzt haben. Auch wenn zu oft von dem Mittel der Gefährdungsanzeigen Gebrauch gemacht wurde. Dann wurde geguckt, wie das Haus die Mitarbeiter so unter Druck setzen kann, dass sie das nicht mehr machen. Und das wurde dann so gemacht, dass alle im Team das mitbekommen. Natürlich denken dann alle: Oh Gott, wenn ich mich so verhalte, dann blüht mir das auch, ich verhalte mich lieber ruhig. Ich habe auch Angst vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen und möchte deshalb anonym bleiben.

Mich hat das alles sehr belastet, ich hatte fast ein Burn-out. Ich habe mich immer sehr mit dem Haus identifiziert, gern dort gearbeitet und mich auch für meine Kollegen eingesetzt oder zwischen ihnen und dem Arbeitgeber versucht zu vermitteln. Das war alles weg. Ich musste meine Einstellung, mein Verhalten und mein Selbstverständnis komplett ändern.

Es gab mal eine Zeit, da haben die Kollegen, wenn sie überlastet waren, viel mehr Gefährdungsanzeigen an den Arbeitgeber geschrieben als heute. Dann wurde irgendwann von ihnen oder den Stationsleitungen erwartet, dass sie sich schriftlich äußern sollen, warum sie die Gefährdungsanzeige geschrieben haben. Das ist Quatsch, das steht da ja drin, warum sie die schreiben. Aber das zermürbt, wenn man sich noch mal schriftlich erklären muss, und dadurch werden dann weniger solcher Anzeigen geschrieben. Manche Kollegen wurden von den Abteilungsleitern dann auch gefragt, ob sie dem Beruf nicht gewachsen seien. „Ist das zu viel für sie? Also wenn Sie dem nicht gewachsen sind, dann müssen Sie mal überlegen, was Sie machen.“ Das wird jetzt aber zum Glück nicht mehr gemacht.

Einmal im Monat gab es früher auch eine Besprechung der Stationsleitungen, da durfte vom Betriebsrat jemand mit dabei sein. Da gab es immer lebhafte Diskussionen. Irgendwann wurde der Betriebsrat ausgeladen. Und mittlerweile wird da nur noch das Aktuellste verkündet, es findet kein konstruktiver Austausch mehr statt, das berichten die Kollegen.

Über die Zeit hat sich gezeigt, dass der Patient nun nicht mehr im Mittelpunkt steht. Es geht nur noch um Fälle und Fallzahlen und Fallschwere. Es gibt im Haus Belegungsmanager und Fallmanager, die achten darauf, dass der Patient nicht zu früh und nicht zu spät entlassen wird. Und sie geben den Ärzten Tipps für die Entlassungspapiere. Die Diagnosen nach den Fallpauschalen müssen darin in einer bestimmten Reihenfolge stehen, damit das Maximale an Geld herausgeholt werden kann.

Manchmal ist die Fallschwere wichtiger als die Fallzahl. Das führt dann dazu, dass, wenn es für den Fall mehr Kohle gibt, wenn zum Beispiel eine Herzkatheteruntersuchung gemacht wird und die sich rechtfertigen lässt, dann wird die eben gemacht.

Einmal im Monat gibt es eine Übersicht für jede Abteilung, ob sie gut gearbeitet hat, also der Plan eingehalten wurde. Und je nachdem bekommen die Abteilungen ein rotes Smiley mit Mundwinkel nach unten, ein gelbes Smiley mit geradem Mundwinkel oder ein grünes Smiley mit einem freundlichen Smiley. Allein das baut unheimlichen Druck auf, alle wollen doch ein lachendes Smiley. Es gab schon Kollegen, die haben sich beschwert, weil sie nur noch mit Dokumentieren beschäftigt sind, für die eigentliche Arbeit am Patienten bleibt immer weniger Zeit. Und das Smiley bezieht sich nur auf die Fallzahlen und/oder die Fallschwere, wie der Patient entlassen wurde. Ob es dem gut geht oder nicht, ist scheißegal.

Dieses System sprengt auch den Zusammenhalt unter den Berufsgruppen. Die Ärzte werden immer noch hofiert, das sind die Guten, die braucht man ja, um die Fallzahlen zu erreichen. Wenn sie sie erreichen, kriegen sie am Ende des Jahres Boni, das ist mehr, als wir im Jahr verdienen.

Um die zu erreichen, brauchen die Ärzte aber auch die Pflege. Und wenn die mal sagt: „Wir können niemanden mehr aufnehmen, wir haben kein Personal“, dann ist denen das oft egal, weil sie sollen ja ihre Fälle erreichen und wollen die Boni bekommen. Wenn dann die Stationsleitungen versuchen, sich für ihre Teams einzusetzen, dann wird denen gesagt, sie seien ja nicht die Klassensprecher. Die sollen ihr Team dazu kriegen, die Arbeit trotzdem zu schaffen, zur Not am freien Tag einzuspringen oder Überstunden zu machen. Viele haben den Job aufgegeben oder sind woanders hin, weil sie das mit ihrem Gewissen oder Berufsethos nicht vereinbaren können.

Es gibt eine Situation, die werde ich nie vergessen: Die Abteilung für Sterilisation sollte ausgegliedert werden, um Geld zu sparen. Nach einem Jahr haben die Mitarbeiter dann ja keine Tarifbindung mehr. Als Vergleichswert, um herauszufinden, wie günstig die ausgegliederte Abteilung arbeiten kann, wurde dann eine Steri-Abteilung genommen, die den ganzen Tag nur Materialien für Hüft- und Knie-OPs macht. Die Klinik, in der ich arbeite, macht aber viel mehr als das, es müssen also ganz andere Sachen sterilisiert werden. Da kann ein Steri, der nur Materialien für solche OPs macht, gar nicht als Vergleich herangezogen werden. Aber das ist denen egal.

Mittlerweile sind viele Materialien, die früher in den Steris aufbereitet wurden, Einmalmaterial geworden, auch Scheren und Pinzetten, wie man sie für Verbandswechsel braucht. Das ist billiger, aber schlecht für die Umwelt.

Für mich gehört Gesundheitsversorgung in öffentliche Hand. Ich zahle dafür ja auch Krankenkassenbeiträge. Und ich finde, es geht gar nicht, dass Private von unseren Krankenkassenbeiträgen Gewinne machen, anstatt es unserer Gesundheitsversorgung zugute kommen zu lassen. Für mich gehören die Fallpauschalen abgeschafft. Jeder Mensch soll die Versorgung bekommen, die individuell für ihn am besten ist.