„Outdoor-Aktivitäten werden profitieren“

Tourismusforscher Jürgen Schmude sieht einenBoom für Deutschland voraus. Fernreisen und die Kreuzfahrtbranche werden dagegen leiden

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Jürgen Schmude

leitet den Lehrstuhl für Wirtschaftsgeografie und Tourismusforschung an der LMU München. Einer seiner Forschungsschwerpunkte sind die Auswirkungen des Klimawandels auf den Skitourismus.

taz: Herr Schmude, wenn der Tourismus sich wieder erholt hat, was wird dann alles anders sein?

Jürgen Schmude: Der Tourismus wird sicher nicht von null auf hundert durchstarten, sondern sich sehr langsam erholen. Die Beherbergungsbetriebe werden nach und nach geöffnet werden und sie müssen sich umstellen. Das klassische Frühstücksbuffet wird es erst mal nicht geben.

Aber die Branche kommt aus dem Knick?

Einzelne Marktsegmente werden leiden, wie der Kreuzfahrttourismus. Die dauernden Nachrichten über die Coronafälle auf den Schiffen haben sich eingebrannt ins Gedächtnis. Kreuzfahrtschiffe sind zudem die größte räumliche Konzentration von Touristen und Social Distancing schwer umsetzbar. Auch das Marktsegment Fernreisen wird leiden, da die Leute jetzt die Erfahrung gemacht haben, dass es in fernen Destinationen große Schwierigkeiten gibt, die Rückführung in einer Krise zu garantieren.

Wellness ist so wie die Kreuzfahrt an Land. Kann die boomende Wellnesssparte weitermachen?

Kurzfristig ist das sehr problematisch. Im Wellnessbereich ist es ganz schwierig, die soziale Distanz umzusetzen. Post Corona profitiert Wellness jedoch auf jeden Fall. In der Tourismuswissenschaft gehen wir davon aus, dass alle gesundheitsorientierten Marktsegmente und alle, die mit Outdoor-Aktivitäten zu tun haben, profitieren. Egal ob Wandern oder Fahrradfahren.

Das alles könnte für den Tourismusstandort Deutschland sprechen, die Betriebe an Ostsee und Alpen könnten nach dem Ende des Lockdowns profitieren.

Das ist auch so. Die Naherholung und die Reisen über kurze Distanzen werden als Erstes wieder laufen. Die Politik wirbt ja sogar dafür, wir haben jedoch das Problem, dass wir ein klassisches Outbound-Land sind. Zwei Drittel der Reisen gehen ins Ausland. Nur ein Drittel der Menschen verbringt den Haupturlaub in Deutschland. Wenn jetzt 100 Prozent ihren Urlaub in Deutschland verbringen sollen oder müssen, dann kommt die hiesige Tourismusbranche sehr schnell an Kapazitätsprobleme.

Mehr Profit wurde in den Alpen früher dadurch rausgeholt, dass größere Hotels und noch mehr Skipisten, noch eine Seilbahn auch für den Sommer gebaut wurden. Wird das wieder so sein?

Alle Massenkonzepte werden schon von der Nachfrageseite, von den potentiellen Touristen her, ein Problem haben, akzeptiert zu werden. Eine Individualisierung wie in der Gesellschaft insgesamt werden wir zukünftig auch stärker im Tourismus haben. Alle touristischen Angebote, die mit kleinzahligem Tourismus zu tun haben, werden davon profitieren.

Also die Besitzerin von drei Ferienwohnungen profitiert nach der Krise eher als der Hotelkomplex mit 300 Betten?

Genau. Jetzt in der Coronazeit merken wir ja auch, dass das von der Politik durchaus gefördert wird. Schleswig-Holstein eröffnet sukzessive erst die Zweitwohnungen, dann die Ferienwohnungen, dann die Hotels, und der Verbraucher stellt natürlich sofort fest, dass in so einem Fall die Ferienwohnung sicherer ist als ein Hotel.

Noch mal in die Alpen. Der Skitourismus hat durch Ischgl gelitten. Färbt so ein schlechtes Image auf die bayerischen Skigebiete ab?

Ein weitaus größeres Problem für die bayerischen Skigebiete ist der Klimawandel. Bis 2050 werden wir nicht mehr viele Skigebiete auf der Landkarte haben, wo ökonomisch sinnvoll Skitourismus stattfinden kann.

Solange es Schneekanonen gibt, läuft ’s doch.

Die Touristen akzeptieren auf Dauer kein weißes Band in grüner Landschaft, das haben wir mehrfach nachgewiesen. Irgendwann wird zudem die Kunstschneeproduktion zu teuer, wenn immer mehr Flächen über immer längere Zeiträume beschneit werden müssen und die Temperatur dafür kaum gegeben ist, um die Schneekanone überhaupt anstellen zu können. Klimawandelbedingt wird es so große Probleme geben, dass die uns langfristig mehr beschäftigen werden als so ein Skandal wie in Ischgl.

Nimmt die Coronakrise schock­artig vorweg, was der Klimawandel schleichend hervorbringt?

Der Klimawandel ist ein langsamer Prozess und Corona der Dampfhammer, der uns sichtbar macht, was wir im Klimawandel nicht wahrnehmen: unsere Verwundbarkeit. Corona zeigt uns, dass wir überdreht haben. Bis jetzt war jeder Winkel der Welt erreichbar. Jedes Motiv zum Reisen konnten wir umsetzen bis hin zu solchem Blödsinn wie Junggesellenabschiede in einer Brauerei in Dublin oder der Einkaufstrip mit einem Billigflieger nach Mailand. Fernreisen hat man einfach so gemacht. Wir in der Tourismuswissenschaft hoffen, dass die Menschen die Reiseentscheidung bewusster treffen. Anstatt drei Mal eine Woche könnten es einmal drei Wochen Urlaub werden.

Aber auf Reisen gehen die Leute wieder?

Reisen hat sich über die letzten 20 Jahre zu einem Grundbedürfnis entwickelt. Eher sparen die Menschen an etwas anderem als am Reisen. Früher war das Auto des Deutschen liebstes Kind. Das würde ich heute umformulieren: Des Deutschen liebstes Kind, ist das Reisen.

Interview: Ulrike Fokken