: Die Seuche der Fake News
In Zeiten von Corona blühen die Verschwörungstheorien in Nigeria noch mehr als sonst, sagt die TV-Journalistin Linda Akhigbe
Linda Akhigbe ist Parlamentsreporterin bei dem privaten TV-Sender Channel News in Nigerias Hauptstadt Abuja.
Aus Abuja Linda Akhigbe
Ich bin Reporterin bei einem Fernsehsender. JournalistInnen sind vom Lockdown ausgenommen, deshalb kann ich mich frei bewegen und arbeite weiter. Ein spezielles Permit brauchen wir nicht, es reicht, wenn ich bei Kontrollen den Presseausweis vorzeige. Die Geschichten, die ich mache, handeln jetzt natürlich oft vom Coronavirus. Auf den ÖPNV bin ich zum Glück nicht angewiesen, ich habe ein Auto und fahre lieber selbst. Unser Sohn ist noch klein. Mein Mann ist Ingenieur, er arbeitet jetzt von zu Hause aus und kümmert sich um ihn.
Der Lockdown ist nicht landesweit, er gilt nur für drei Staaten. Die Religionsgemeinschaften, die in Nigeria sehr wichtig sind, haben ihn mitgetragen. Über Ostern haben viele Menschen zu Hause gebetet, es gab Messen über das Internet. Trotzdem gibt es natürlich Verstöße, manche Menschen sind in Gruppen joggen gewesen. Da gab es Zusammenstöße mit der Polizei und auch Verhaftungen.
Die Menschen in Nigeria nehmen den Lockdown mit gemischten Gefühlen auf. Das hat natürlich mit der ökonomischen Situation zu tun. Manche Menschen müssen jeden Tag raus, um Geld zu verdienen. Was sie an diesem Tag zu essen bekommen, hängt allein von den Einnahmen des Tages ab. Da ist er Druck sehr groß. Dann gibt es Menschen, die glauben, dass das Virus gar nicht existiert. Sie denken, die Regierung hat es sich ausgedacht, um die Menschen zu kontrollieren. Andere glauben, sie habe das getan, um Hilfspakete aufzulegen und sich das Geld selbst einzustecken. Nigeria hat Hilfen im Umfang von umgerechnet 1,2 Milliarden Euro beschlossen. Und ein Teil der Bevölkerung befürchtet, dass Beamte das privat einstecken wollen. Das kommt nicht von ungefähr. Die Regierung in diesem Land war lange Zeit nicht offen und transparent, so ist viel Misstrauen entstanden.
Und wieder andere glauben, dass Corona den Afrikanern nichts anhaben kann, weil Schwarze dagegen immun seien. Tatsächlich ist es so, dass die offiziellen Infektionszahlen in Nigeria sehr niedrig sind. Fast zwei Monate nach dem ersten Auftreten wurden rund 370 Fälle registriert. Ich habe dafür keine Erklärung. Es liegt wahrscheinlich nicht daran, dass wir hier so außergewöhnlich gute Krisenmanager haben. Ich könnte mir vorstellen, dass ein Grund dafür der eher geringe internationale Verkehr ist. Vor allem Menschen, die vorher in den USA oder in Großbritannien waren, haben das Virus nach Nigeria gebracht. Einige Mediziner denken, es gebe vielleicht eine Verbindung zu den häufigen Malaria-Erkrankungen. Sie glauben, dass durch diese eine gewisse Resistenz aufgebaut worden sein könnte. Vielleicht liegen die niedrigen offiziellen Zahlen aber auch einfach daran, dass in Nigeria nicht genug getestet wird.
Die Arbeit der Medien ist sehr wichtig. Es gibt auch sonst schon so viele Fake News in unserem Land, das hat jetzt noch einmal zugenommen. Es kursieren unglaublich viele Verschwörungstheorien, die werden vor allem auf WhatsApp und Facebook verbreitet. Dagegen kämpfen wir an. Manche Menschen melden uns in dieser Zeit zurück, dass sie unsere Arbeit in dieser Zeit sehr schätzen.
Bis auf Lesotho haben alle 52 afrikanischen Staaten mittlerweile Coronafälle registriert. Die offiziellen Zahlen sind aber insgesamt sehr niedrig: Kontinentweit wurden bis Mittwochmittag 16.239 Fälle gezählt, 3.239 davon sind wieder genesen, 873 gestorben. Mit jeweils über 2.000 Fällen haben Algerien, Ägypten und Südafrika die höchsten Zahlen. Die tatsächliche Zahl der Fälle dürfte weit höher liegen, denn fast nirgendwo kann ausreichend getestet werden. In Nigeria mit rund 200 Millionen EinwohnerInnen etwa hat die Regierung gerade verkündet, die Testkapazität erhöht zu haben – auf jetzt 1.500 Tests pro Tag.
Wir sehen unsere Rolle aber nicht darin, Werbung für die Entscheidungen der Regierung zu machen, sondern diese Maßnahmen zu prüfen und zu kritisieren. Wir müssen die Regierung rechenschaftspflichtig halten: Wie sie die Krise managen, wie sie die Hilfen verteilen, wer Geld und Essen bekommt, ob arme Menschen womöglich leer ausgehen. Das herauszufinden ist im Moment unsere wichtigste Aufgabe.
Ich mache mir Sorgen wegen einer Rezession. Unternehmen werden pleite gehen, viele können schon jetzt keine Löhne mehr zahlen. Selbst die Regierungen einiger Bundesstaaten haben die Gehälter ihrer Mitarbeiter um 50 Prozent gekürzt. Nigeria lebt vom Ölexport. Aber der Ölpreis ist seit Februar um über die Hälfte gefallen. All das wird die Wirtschaft und vor allem arme Menschen hart treffen.
Protokoll: Christian Jakob
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