„Corona in der Welt“ – Moldawien: Dann kam sie, die Seuche

Die Pandemie hat auch das 5.000-Seelen-Dorf Cișmichioi erreicht. Die Menschen sind nervös. Sie haben viele Fragen, bekommen aber nur wenige Antworten.

"Quarantäne. Hier werden keine Besucher bedient", steht auf dem Schild

„Quarantäne“ in der Dorfbibliothek. Hier werden keine Besucher bedient“, steht auf dem Schild Foto: Alla Bjuk

Cișmichioi taz | In den vergangenen 200 Jahren haben wir und unsere Vorfahren hier im Dorf Cișmichioi im Budschak, einem Teil von Bessarabien, schon viel erlebt: Revolutionen, Kriege, Hunger, Repressionen und Epidemien. Heute sind wir Bewohner von Cișmichioi genauso wie alle anderen Bürger der Moldau mit einem neuen großen Problem konfrontiert: dem Coronavirus, das gnadenlos Menschenleben von der Erde fegt.

Auf der Halbinsel Krim gibt es, offiziellen Angaben zufolge, bislang 32 Erkrankte. 13 Menschen sind wieder gesund, Tote sind nicht zu beklagen. In Kirgistan sind 430 Coronafälle registriert, fünf Menschen verstorben und 71 wieder genesen. Die Bilanz für die Republik Moldau: 1.712 Infizierte, davon 17 in der autonomen Region Gagausien. 35 Menschen sind in Zusammenhang mit Covid-19 gestorben, 107 genesen.(Stand: 14 April)

„Das Dorf der Quellen“, so ungefähr lässt sich der Name von Cișmichioi, einem der südlichsten Dörfer des autonomen Gebietes Gagausien, das zur Republik Moldau gehört, übersetzen.

Aus Archivunterlagen geht hervor, dass die Vorfahren der Bewohner von Cișmichioi im russisch-türkischen Krieg von 1806–1812 vom heutigen Terwel in Nordostbulgarien in die Steppen des Budschak gekommen waren. Die ersten 18 Familien, es waren 103 Personen, sind 1809 hierhergekommen und haben sich direkt an einer Quelle niedergelassen. So sind wir auf den Namen unseres Dorfes gekommen, „Çeşmäküüyü“.

Seit über drei Wochen hören wir jetzt täglich von Dutzenden Neuinfizierten in Moldau. Bis vor Kurzem war nicht eine einzige Person in Gagausien infiziert. Natürlich war uns klar, dass wir bisher einfach nur Glück gehabt haben. Wir wussten, dass die Pandemie kommen wird, sich langsam, aber unaufhaltsam wie ein Schimmel ausbreiten wird. Schon dieses Warten ließ die Menschen erschaudern. Aus Angst ging niemand mehr auf die Straße, alle grüßten sich nur aus großer Entfernung und waren auch dabei wortkarg. Die Zeit schien stillzustehen.

Und dann ist sie gekommen, die Seuche. Ausgerechnet in meinem heimatlichen Cișmichioi wurde die erste Coronainfektion Gagausiens festgestellt. Wir hatten ja damit gerechnet. Trotzdem traf uns die Nachricht wie ein Blitz.

Erfahren haben wir das am 1. April, dem Tag des Humors. Und das war sofort das wichtigste Nachrichtenthema. Die Telefone liefen heiß, jeder wollte wissen, wer diese infizierte Person sei, die ja nun eine Bedrohung für die vielen anderen, die sich mit ihr getroffen hatten, darstellte.

Schnell wurde bekannt, um wen es sich handelte. In einem Dorf mit gerade einmal 5.000 Menschen, die sich alle mehr oder weniger gut kennen, ist das auch kein Problem. Und die, die mit diesem Menschen Kontakt hatten, haben dies sofort der örtlichen Ambulanz mitgeteilt.

Noch hat die Coronapandemie den Globus fest im Griff. Doch allen Abschottungsversuchen zum Trotz wächst die Welt dieser Tage auch zusammen. Gerade jetzt ist es deswegen besonders wichtig, den eigenen Horizont zu erweitern.

Für die taz berichten nicht nur unsere Auslandskorrespondent*innen aus vielen verschiedenen Ländern. Auch ein weit verzweigtes Netz junger Journalist*innen, die seit 2011 an internationalen Workshops der taz Panter Stiftung teilgenommen haben, blickt für uns und unsere Leser*innen auf die Welt und verfolgt unser gemeinsames Ziel: die Pressefreiheit weltweit zu stärken.

Mehr als 500 Medienmacher*innen haben bislang an 37 internationalen Workshops mitgewirkt. Einige der Alumnis berichten in der Reihe „Corona in der Welt“ über den Einfluss von Covid-19 auf ihre Länder und Mitmenschen. Sie schreiben über die Situation in Honduras, Kambodscha, Kirgistan, Malaysia, Moldawien, Myanmar, Niger, Nigeria und der Ukraine. Sie ermöglichen uns allen einen neuen Blick.

Die Autor*innen sind – anders als hoffentlich das Virus – nicht zu stoppen. Das Gleiche gilt auch für die taz Panter Stiftung. Wir sind entschlossen, unsere Arbeit fortzusetzen, sobald es die Situation wieder zulässt. Dafür braucht es Kraft und Zuversicht. Und nicht zuletzt auch Sie!

Ab sofort gab es für uns nur noch ein „vor“ und ein „nach“ dem 1. April. Es schien, als sei die Quelle des Dorfes versiegt. Natürlich hatten wir alle die schrecklichen Fernsehbilder aus China oder Italien im Kopf. Aber emotional waren uns diese Bilder so fern wie Szenen aus einem Horrorfilm. Und auch dann, als in der Republik Moldau schon die ersten Fälle registriert worden waren, nahmen die meisten Bürger diese Nachrichten immer noch so wahr, als beträfe das nicht uns.

In der Folge waren dann die einen ganz gesetzestreue Bürger, leisteten, wie auch ich und meine Familie, den Empfehlungen unseres Präsidenten und Premierministers Folge und sperrten uns in unseren eigenen vier Wänden ein. Andere wiederum machten so weiter wie bisher und brachten damit sich und andere in Gefahr. Das ließ Emotionen hochkochen. Einige warfen dem Infizierten Verantwortungslosigkeit vor, weil er andere gefährdet habe. Andere wiederum nahmen ihn mit dem Argument in Schutz, der Betreffende habe ja gar nicht gewusst, dass er infiziert war.

Doch was uns am meisten beunruhigt ist der Umstand, dass ein Drittel der Infizierten in Moldau Personen aus dem Gesundheitswesen sind. Was ist, wenn diese Zahl weiter ansteigt? Wer wird uns dann noch behandeln können? Und es stellt sich auch die Frage, ob der Staat auf eine Pandemie gut genug vorbereitet war. Wir haben viele Fragen, bekommen aber nur wenige Antworten.

Doch wie es so schön heißt: Alles Schlechte bringt auch irgendetwas Gutes. Der Coronavirus hat geschafft, was bisher keiner Regierung gelungen ist: Er hat die meisten unserer Landsleute, die im Ausland arbeiten, wieder in die Heimat gebracht. Der Virus hat uns die Möglichkeit gegeben, wieder Zeit mit der Familie zu verbringen. Auch können wir unsere Zukunftspläne überdenken.

Und während sich die Menschheit in Isolation befindet, versucht die Natur, sich neu zu beleben und von der jahrhundertelangen schädlichen Tätigkeit des Menschen zu erholen. Nein, der Quell des Lebens versiegt nicht.

Aus dem Russischen Bernhard Clasen

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lebt in der Stadt Komrat, in Gagausien, einem Autonomen Gebiet im Süden der Republik Moldau. Sie ist stellvertretende Chefredakteurin der Zeitung Nachrichten Gagausiens. Im Jahr 2015 nahm sie an einem Osteuropa Workshop der taz Panter Stiftung teil.

Die Coronapandemie geht um die Welt. Welche Regionen sind besonders betroffen? Wie ist die Lage in den Kliniken? Den Überblick mit Zahlen und Grafiken finden Sie hier.

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