: „Totale Isolation im Gefängnis“
Staatsanwälte sind nicht erreichbar, Besuche verboten: Was bewirkt der Corona-Shutdown in der Justiz?
Hannes Honecker 54, ist seit 1998 Strafverteidiger in Berlin. Er sitzt im Vorstand der Vereinigung Berliner Strafverteidiger sowie dem Republikanischen Anwaltsverein RAV.
Interview: Plutonia Plarre
taz: Herr Honecker, vor wenigen Tagen haben 70 Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger Bilanz gezogen: Was bedeutet der Corona-Shutdown bei der Justiz und in den Knästen konkret für die Arbeit der Anwältinnen und Anwälte?
Hannes Honecker: Homeoffice für Staatsanwälte heißt, dass sie nicht erreichbar sind. Wir rufen an – und niemand nimmt ab. Die Strafjustiz lebt in einer analogen Welt, sie kennt keine Rufumleitung. Das alles muss dringend digitalisiert werden.
Können Sie Ihre Mandanten noch verteidigen?
Was Untersuchungsgefangene betrifft, macht uns das große Sorge. Die JVA Moabit schafft es zwar prima, das Virus aus der Untersuchungshaftanstalt herauszuhalten …
… wie gelingt das denn?
Durch totale Isolation. Untersuchungshäftlinge dürfen überhaupt keinen Besuch mehr haben. Gemeinschaftsveranstaltungen wie Sport, Kirche, selbst die Therapie fallen aus. Nur telefonieren können die Insassen noch. Aber die Gefangenen wollen mit ihren Angehörigen nicht nur sprechen, sie wollen sie auch sehen. Das setzt voraus, dass es Videotelefonie mit entsprechenden Geräten und Zugängen gibt. In der Untersuchungshaftanstalt steckt das aber noch in den Kinderschuhen.
Ist das in den Strafanstalten denn anders?
In der JVA Heidering zumindest gibt es mittlerweile Skype und die Möglichkeit zur Videotelefonie (siehe auch Text unten).
Wie steht es mit Anwaltsbesuchen in der U-Haft?
Anfangs war das sehr schwierig. Gerade werden die Zugänge erleichtert. Allerdings müssen wir durch eine Trennscheibe mit unseren Mandaten sprechen. Bis Gründonnerstag gab es nur einen Raum mit Trennscheibe. Die JVA Moabit hat jetzt das Besucherzentrum geöffnet, wo die Untersuchungsgefangenen normalerweise Besuch von ihren Angehörigen bekommen können. Dort sind vier Plätze mit Trennscheiben für Anwaltsbesuche geschaffen worden. Die Justizbediensteten haben das in Eigenarbeit gemacht. Sie sind selbst in den Baumarkt gefahren, um das Material zu holen.
Wie bitte?
Es ist verrückt. Die Justiz ist absolut unterausgestattet. Die Justizbediensteten machen das, weil sie eine Heidenangst haben, was vollkommen berechtigt ist. Stellen Sie sich vor, was passiert, wenn in Moabit das Virus Einzug hält. Viele Leute müssten dann aus der Haft entlassen werden. Viele würden vermutlich in die Obdachlosigkeit gehen.
Auch Gerichtsprozesse finden kaum noch statt. Was sind die Folgen?
Es entsteht ein Rückstau, die Rede ist von ein bis drei Monaten Verfahrensverzögerung. Ich kann nicht beurteilen, ob das stimmt. Aber wir haben Sorge, dass diese Verfahren künftig vermehrt als sogenannte In-Camera-Verfahren erledigt werden.
Das heißt über Strafbefehlsverfahren. Was würde das bedeuten?
Für den Beschuldigten gäbe es bei Gericht in Moabit keine mündliche Anhörung mehr. Stattdessen bekommt er per Post ein Schreiben. Er denkt: Halb so schlimm, vielleicht ist das so etwas wie ein Bußgeldbescheid. In Wirklichkeit ist es aber ein Strafbefehl. Er ist verurteilt. Das hat Konsequenzen und kann mitunter sogar in den Knast führen. Beigefügt ist zwar eine Rechtsmittelbelehrung …
… das sogenannte Kleingedruckte.
Ja. Angenommen, einer wird wegen Schwarzfahren per Strafbefehl zu einer Geldstrafe verurteilt. Da steht dann drin: Du kannst zwar Einspruch einlegen, aber in so einem Fall könnte es auch schlimmer werden.
Worauf wollen Sie hinaus?
Wir befürchten, dass eine Vielzahl von Betroffenen jetzt auf den Einspruch verzichten wird, nach dem Motto: Wenn es schlimmer kommen kann, akzeptiere ich das lieber.
War das nicht auch schon vor Corona so?
Die Menschen konnten aber zum Anwalt gehen und sich beraten lassen. Der Unterschied ist, dass jetzt viele nicht mehr rausgehen.
Dabei sind Wege zu Anwältinnen und Anwälten von der Ausgangsbeschränkung explizit ausgenommen.
Dennoch könnte der Shutdown dazu führen, dass sich noch mehr Menschen von einem Strafbefehl einschüchtern lassen, als ohnehin schon.
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