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Umstrittene Mildtätigkeit

Die Corona-Krise trifft vor allem Arme und Wohnungslose. Um ihnen zu helfen, sind in Bremen „Gabenzäune“ entstanden. An denen gibt es allerdings auch Kritik

Von Mahé Crüsemann

Praktisch über Nacht baumelten in Bremen zahlreiche weiße Tüten, beschriftet mit bunten Zettelchen an Zäunen – Zeichen der Solidarität in Zeiten des Kontaktverbots. Auf selbstgemalten Pappschildern steht „Gabenzaun“. Menschen, die helfen wollen, hängen Lebensmittel, Hundefutter, Kleidung oder Hygieneartikel dran. Bedürftige Menschen können sich nehmen, was sie brauchen.

„Ich weiß, dass es Zäune am Sielwall im Viertel, an der Westerstraße in der Neustadt, an der Hochschule, beim Überseemuseum vorm Bahnhof und einen kleinen im Nelson-Mandela-Park gibt“, sagt Sarah Eichelberg, eine Mitorganisatorin des Gabenzauns an der Westerstraße in der Neustadt. Gemeinsam mit anderen Freiwilligen ist sie in einer Gruppe, die eine Nachbarschaftshilfe ins Leben gerufen hat. Deren Organisation und Kontakt läuft über eine Telegram-Messenger-Gruppe – digital und mit Sicherheitsabstand

Gabenzäune geduldet

„Die Idee, einen Gabenzaun zu organisieren, tauchte in der Gruppe dann irgendwann auf und ich fand es super“, sagt Eichelberg. Sie habe sich mit dem Ordnungsamt in Verbindung gesetzt, um eine Genehmigung zu organisieren. „Noch am selben Tag gab es dann aber plötzlich einen Zaun am Sielwall, offensichtlich ohne Genehmigung.“ Daraufhin habe Eichelberg mit ihren Mitstreiter*innen ebenfalls einen Zaun an der Westerstraße bestückt. Vom Ordnungsamt habe sie nichts mehr gehört. „Die dulden die Zäune einfach“, sagt sie. Selbst der Zaun am Hamburger Bahnhof, der unter anderem als Vorbild für die Bremer Initiativen fungierte, komme ohne Genehmigung aus, erklärt sie.

Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) sieht das Aufkommen der Zäune zwar positiv – „Aus sozialpolitischer Sicht finden wir es toll, dass Menschen ihre Kreativität einsetzen und auch ungewöhnliche Formen der Unterstützung ausprobieren“, sagt sie –, gleichzeitig warnt sie: „Mit einem solchen ‚Experiment‘ sind gesundheitspolitisch betrachtet auch Risiken verbunden.“ Es handele sich um eine neue Form der Unterstützung, die punktuell von Nutzen sein könne. Es müsse aber sichergestellt sein, dass beispielsweise Schädlinge keinen Zugang zu den „Gaben“ hätten.

Die Senatorin ruft außerdem zu respektvollem Umgang auf und empfiehlt einen einfachen Test, um festzustellen, ob Lebensmittel gut genug zum Spenden sind: „Entweder ein Lebensmittel ist noch genießbar, sodass man es auch selber essen könnte, oder es ist nicht mehr genießbar, dann gehört es auch nicht an den Gabenzaun.“

Wer spenden möchte, solle nützliche Dinge in eine Tüte packen, diese möglichst wetterfest verschließen und beschriften, damit von außen ersichtlich ist, was hier verpackt wurde, sagt Sarah Eichelberg. Einfache Plastiktüten reichten oft nicht. Bei Dauerregen würden viele Tüten doch von innen nass, und scheine die Sonne tagelang auf den Zaun, könnten manche Lebensmittel verderben. Auch Eichelberg sieht darin ein Problem. „Es soll sich in der Westerstraße etwas ändern“, sagt sie. „Die Idee mit einem einfachen Gabenzaun ist noch nicht ganz ausgereift.“

Alternativen Entwurf für Gabenzaun entwickelt

Sie habe sich darum ein Konzept für eine Art „Spendenschrank“ überlegt. Ihren Entwurf hat sie jetzt der Stadt präsentiert und hofft auf ein Okay, um bald mit dem Bau zu beginnen. Übergangsweise haben sie und zwei MitstreiterInnen nun einen alten Kühlschrank aufgestellt. „Er hat einige Vorteile“, sagt sie. So sei er zum Beispiel leicht zu reinigen und zu desinfizieren, das Innere sei vor extremem Wetter geschützt und man könne außerdem einige Plastiktüten einsparen. „Ich werde dann jeden Tag vorbeifahren und den Schrank sauber machen, bis wir eine andere Lösung gefunden haben“, sagt Eichelberg.

Fast jeden Tag kümmert sich jemand um den Zaun in der Westerstraße. Etwa vier Freiwillige sorgen abwechselnd für Ordnung. Auch Eichelberg ist alle drei, vier Tage vor Ort und sieht nach dem Rechten. Die 28-Jährige ist eine der treibenden Kräfte, die das Projekt Gabenzaun in der Neustadt am Laufen hält. Auch sie meint: „Was wirklich unglaublich wichtig ist: dass die Lebensmittel, die hier angehängt werden, noch haltbar sind und nicht vergammeln.“ Vom Zaun in der Westerstraße müsse sie auch immer wieder Unbrauchbares entsorgen.

Wenn sie vor Ort sei, spreche sie dort direkt mit Bedürftigen und frage, an was es gerade fehle. Sozialsenatorin Stahmann sieht im direkten Kontakt zu den Menschen sogar eine noch bessere Möglichkeit, Hilfe zu leisten. „Besser als ein anonymer Gabenzaun ist es allemal, obdachlose Menschen direkt anzusprechen und sie zu fragen, was sie gebrauchen können“, sagt sie. Man könne ihnen dann vom Einkauf etwas mitbringen. „Das wird von den allermeisten Obdachlosen als freundliche, mitmenschliche Geste wahrgenommen, also darf man sich ruhig trauen.“

In Bremen kümmert sich normalerweise der Verein für Innere Mission um obdach- und wohnungslose Menschen. Katharina Kähler, Leiterin der Wohnungslosenhilfe bei der Inneren Mission, will sich zum Konzept der Gabenzäune nicht äußern: Bei der Arbeit mit Wohnungslosen gebe es im Moment andere Schwerpunkte.

Volker Macke indes hält Gabenzäune nicht für die beste Lösung. Er ist Redaktionsleiter der Straßenzeitung Asphalt-Magazin in Hannover. Wie in Bremen oder Hamburg entstanden auch in der niedersächsischen Landeshauptstadt gleich zu Beginn der Corona-Krise mehrere Zäune. „Es gibt definitiv bessere Lösungen“, sagt Macke. „In normalen Zeiten würde ich diese Almosenwirtschaft ablehnen, das ist nicht auf Augenhöhe, da waren wir schon mal weiter.“

Freiluft-Essensausgabe hat Vorteile

Macke habe die Erfahrung gemacht, dass diejenigen, die jetzt helfen wollen und am Gabenzaun spenden, ihrem Impuls, etwas Gutes zu tun, folgen wollen. „Das ist ja erst mal sehr löblich“, sagt er. Er empfehle aber, sich an offizielle Stellen oder gut organisierte freiwillige Helfer zu wenden. „Ich habe nicht unbedingt etwas gegen solche Gabenzäune“, sagt Macke. „Es ist aber meiner Meinung nach nicht unbedingt nötig.“ Gerade jetzt zu Corona-Zeiten laufe zumindest in Hannover die Freiluft-Essens­ausgabe bei offiziellen Stellen auf Hochtouren und man habe alles umgestellt, um Hygienestandards und Abstandsvorschriften einzuhalten.

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