Gerüchte um Putsch in Brasilien: Kein Staatsstreich gegen Bolsonaro

Warum die Meldung über einen angeblichen Putsch gegen Jair Bolsonaro falsch ist – und Brasiliens Präsident trotzdem zusehends an Macht verliert.

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro

Weiter im Amt, aber seine Macht schwindet: Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro Foto: Adriano Machado/reuters

SãO PAULO taz | Die Meldung machte schnell die Runde: Brasiliens Militär habe Präsident Jair Bolsonaro entmachtet, Präsidialamtsminister Walter Braga Netto, ein General, sei neuer „geschäftsführender Präsident“.

Mehrere Onlinemedien bezogen sich auf den renommierten argentinischen Investigativjournalisten Horácio Verbitsky, der in einem Radioprogramm über ein entsprechendes Telefonat zwischen argentinischen und brasilianischen Militärs berichtete.

Seriöse brasilianische Medien brachten die Meldung allerdings nicht, denn: Sie ist ziemlich sicher falsch und aus dem Zusammenhang gerissen. Verbitsky äußerte sich bis Redaktionsschluss nicht, doch es ist davon auszugehen, dass es sich bei seinen Aussagen einfach um eine Analyse handelte, die dann als Nachricht wiedergegeben wurde.

Sicher ist, dass Teile des Militärs mit Bolsonaro unzufrieden sind. Auch brasilianische Medien berichten, dass Präsidialamtsminister Netto immer größere Verantwortung bei der Bekämpfung der Coronakrise übernimmt.

Immer mehr Gouverneure verweigern die Loyalität

Mit einem Militärputsch hat das nichts zu tun, aber wahr ist: Präsident Bolsonaro ist durch seinen Umgang mit der Coronakrise zunehmend isoliert. Lange Zeit hatte der Rechtsradikale das Virus als „kleine Grippe“ heruntergespielt und eine Wiedereröffnung von Handel und Schulen gefordert – obwohl Expert*innen mit einer Katastrophe für das größte Land Lateinamerikas rechnen.

In seiner letzten Ansprache hatte sich Bolsonaro zwar gemäßigt und Corona als „größte Herausforderung unserer Generation“ bezeichnet, doch nur einen Tag später erklärte er in einem Radiointerview, dass er per Dekret eine Rückkehr zur Normalität anordnen könne, und attackierte Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta.

Dieser hatte einen Zusammenbruch des Gesundheitssystems für Ende April vorausgesagt und verteidigt harte Isolationsmaßnahmen. Viele Minister, Abgeordnete und Richter des obersten Gerichtshofs haben sich offen auf die Seite Mandettas gestellt und damit die Gräben vertieft. Ein Rauswurf Mandettas durch den Präsidenten hätte kaum überrascht – doch das kann sich der angeschlagene Präsident derzeit kaum leisten. Laut Umfragen stufen 76 Prozent der Brasilianer*innen die Arbeit Mandettas als gut ein, nur 33 Prozent tun das bei Bolsonaro. Umfragen zeigen allerdings auch, dass eine Mehrheit der Brasilianer*innen gegen den Rücktritt Bolsonaros ist.

Er wird weiter regieren, aber mit immer weniger Hausmacht. Die meisten Landesregierungen gehen auf Distanz und ignorieren schlicht Anweisungen aus Brasília. Der Gouverneur von São Paulo, João Doria, ehemaliger Unterstützer Bolsonaros, rief die Bewohner*innen seines Bundesstaates dazu auf, den Worten des Präsidenten nicht zu folgen.

Wilson Witzel, Gouveneur von Rio de Janeiro und ebenfalls ehemaliger Verbündeter, ging noch weiter und erklärte: Bolsonaro könnte für seinen Kurs vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt werden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Die Coronapandemie geht um die Welt. Welche Regionen sind besonders betroffen? Wie ist die Lage in den Kliniken? Den Überblick mit Zahlen und Grafiken finden Sie hier.

▶ Alle Grafiken

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.