„Flügel“ offiziell rechtsextrem: Druck auf Kalbitz wächst

In der AfD werden Forderungen gegen den „Flügel“ lauter. Eine davon: dem Brandenburger Landes- und Fraktionschef die Mitgliedschaft zu entziehen.

Andreas Kalbitz von der AfD schaut betreten nach unten.

Steht besonders im Visier der parteiinternen Kritik: Andreas Kalbitz vom „Flügel“ Foto: Stefan Boness/Ipon

BERLIN taz/dpa | Wenn am Freitag der AfD-Bundesvorstand trotz Corona in Berlin zusammenkommt, wird es wohl heiß hergehen. Die Parteiführung will sich auf einen Umgang damit verständigen, dass der „Flügel“ durch das Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wurde. Selbst der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland will kommen. Viele in der Partei meinen: Für die AfD ist die Einstufung eine ernste Gefahr – nicht nur, weil es für die Beamten langsam brenzlig wird. Die ganze Partei könnte als rechtsextrem eingestuft werden, grenzt sie sich nicht klar vom „Flügel“ ab.

Parteiintern werden deshalb die Stimmen lauter, die Sanktionen für den „Flügel“ fordern – und auch für dessen Frontmänner Björn Höcke und Andreas Kalbitz. Kalbitz, Partei- und Fraktionschef in Brandenburg und selbst Beisitzer im Bundesvorstand, steht dabei besonders im Visier. Denn der Verfassungsschutz hat den Flügel-Gegnern in der Partei einen Hebel gegen Kalbitz geliefert.

Nach dem internen Bericht des Bundesamts war Kalbitz „über mindestens 14 Jahre“ in Kontakt mit der Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ), einer inzwischen verbotenen Neonazi-Organisation. Und er war demnach auch Mitglied. In einer Mitgliederliste von 2007, die dem Bundesamt vorliegt, sei „Familie Andreas Kalbitz“ unter der Mitgliedsnummer 01330 aufgeführt, berichtete der Spiegel.

Sollte das stimmen, hätte Kalbitz das beim AfD-Parteieintritt angeben müssen. Weil er das aber nicht tat, könnte der Bundesvorstand ihm mit einfacher Mehrheit die Mitgliedschaft aberkennen. Kalbitz wäre alle Ämter los.

Genau das fordert inzwischen der rheinland-pfälzische Fraktionsvorsitzende Uwe Junge. Er erwarte „eine harte Ordnungsmaßnahme gegen Höcke und die Löschung der Mitgliedschaft von Kalbitz wegen falscher bzw. lückenhafter Angaben bei Eintritt“, heißt es in einem Brief, den Junge diese Woche an Parteifreunde verschickte. Die „herabwürdigenden Aussagen von Björn Höcke gegenüber den innerparteilichen Kritikern“ seien unerträglich.

Lucassen spricht von Austrittswelle

Höcke spricht von denen gern als „Feindzeugen“. Außerdem hatte er bei einem Flügel-Treffen in Sachsen-Anhalt im März unter dem Jubel seiner Anhänger gesagt, die AfD müsse die „Flügel“-Gegner „ausschwitzen“.

An die Mitglieder des Parteivorstands gerichtet, schreibt Junge weiter: „Mein weiteres Engagement in der Partei mache ich von Eurer Entscheidung am Freitag abhängig!“ Er erhalte empörte Meldungen und die unübersehbare Bereitschaft, die Partei zu verlassen, wenn jetzt nicht entschlossen reagiert werde. Junge hat in der AfD in den vergangenen Monaten deutlich an Einfluss verloren, bei der Wahl zum Bundesvorstand im Dezember fiel er durch. Doch aus der AfD ist zu hören, dass er mit seinen Forderungen bei weitem nicht allein stehe.

Gewichtiger ist die Meinung von Rüdiger Lucassen, Bundestagsabgeordneter und Landeschef in Nordrhein-Westfalen, einem der größten Landesverbände der AfD. Er fordert, dass der „Flügel“ aufgelöst wird. So steht es in einem Brief, den Lucassen im Namen des Landesvorstands an die beiden Parteichefs, Jörg Meuthen und Tino Chrupalla, geschickt hat. Diese und weitere Maßnahmen seien geeignet, „wieder Ruhe in unsere Partei einkehren zu lassen und die bereits begonnene Austrittswelle zu stoppen“. Lucassen fordert den Bundesvorstand zudem auf, Veranstaltungen und Auftritte des Flügels zu verbieten.

„Der Flügel muss jetzt seine Strukturen offenlegen“, meint auch der Hamburger Fraktionschef Alexander Wolf. Wenn der Flügel dazu nicht bereit sei, müsse er sich zum Schutz der Partei auflösen, sagte Wolf dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Wolf ist Beisitzer im Bundestag, wird am Freitag also auch nach Berlin kommen. Und dort auf Kalbitz treffen. Das dürfte interessant werden.

Der Druck auf den Bundesvorstand, vor allem aber die Parteichefs ist groß. Doch sie haben sich nun eine Woche lang nicht geäußert. „Das klären wir zuerst intern“, sagt beispielsweise Chrupalla der taz. „So lange sage ich nichts.“

Meuthens Name fehlt im Statement

Am vergangenen Donnerstag, nach der Pressekonferenz von Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang, hatte die AfD-Bundes­tags­fraktion erst ein Pressestatement angesetzt, dann verschoben, schließlich wurde es abgesagt. Stattdessen schickte man Roland Hartwig vor, der die parteiinterne Arbeitsgruppe zum Verfassungsschutz leitet. In seinem schriftlichen Statement hieß es, Haldenwang verfolge „interessengeleitete Politikansätze“. Gegen die Einstufung werde man klagen. Das unterstützen wohl die meisten in der AfD. Doch zum „Flügel“ selbst kein Wort.

Ganz unten stand, in kleiner Schrift: „Es unterstützen: Dr. Alice Weidel, Dr. Alexander Gauland und Tino Chrupalla“. Interessant ist, wer fehlt: Meuthen, der neben Chrupalla an der Spitze der AfD steht. Das heißt wohl: Man war sich nicht einig. Was auch das einwöchige Schweigen erklären würde. Und am Freitag wohl ausgetragen werden muss.

Ob es dann aber Sanktionen gegen den „Flügel“ und seine Anführer Höcke und Kalbitz geben wird, ist offen. Zwar sehen deren Gegner derzeit ein Momentum für sich. Aber in den vergangenen Jahren hat sich die Bundesspitze nie mehrheitlich gegen den „Flügel“ gestellt. Denn dieser ist eben parteiintern extrem einflussreich.

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