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Hetzmails, Drohbriefe und Angriffe

Schriftliche Bedrohungen haben viele Kommunalpolitiker*innen schon erlebt. Seit dem Mord an Walter Lübcke wirken sie stärker

Von Andreas Speit

Die E-Mail an Christiane Schneider ist eindeutig. „Liebe Antifafotze Christiane, du bist ab dem heutigen offiziell zur Jagd freigeben. Wir werden Dich dreckige Antifaschistin demnächst aufspüren und bestialisch abschlachten“, las die langjährige Bürgerschaftsabgeordnete der Linken in Hamburg in der vergangenen Woche. Es war nicht ihre erste Droh-E-Mail. „Eine so persönliche, auf mich gezielte Morddrohung ist aber eine neue Qualität“, sagt Schneider der taz. In der E-Mail vom Account „Weiße Wölfe“ heißt es weiter: „Du wirst für Deine Aktionen gegen den Faschismus mit Deinem Leben bezahlen. Wir lassen dich altes Klappergestell nicht ungeschoren davon kommen. Deinen ekelhaften Kadaver werden Wir ganz ökologisch im Hambi ablegen damit die Insekten etwas zum fressen haben. Komm raus. Ists Wolfzeit“.

Das muss man ihr nicht sagen. Die Politikerin der Linken versteckt sich nicht, sie lässt sich nicht einschüchtern. „Das wollen die Rechtsextremen doch“, sagt sie. „Aber natürlich setzt eine solche Drohung Fantasien frei.“ Diese Gedanken kennt sie. Als sie zu den Protesten gegen die rechtsextremen „Merkel muss weg“-Kundgebungen einmal „Danke Antifa“ twitterte, griff die AfD den Tweet auf, ein Shitstorm folgte – mit Vergewaltigungs- und Morddrohungen. „Die Morddrohungen habe ich damals nicht als konkrete Gefahr wahrgenommen, was ich allerdings schlimm fand, war, dass jemand schrieb, er würde mir ins Gesicht schlagen, wenn er mich treffen würde. Da habe ich schon beim Einsteigen in die U-Bahn genauer geschaut“, sagt sie.

Die „Weißen Wölfe“ haben auch weiteren Personen E-Mails mit konkreten Bezügen zu deren jeweiligem Lebensalltag gesendet. Längst werden auch die Familien mitbedroht. „Ich weiß ja, wo ihre Kinder sich aufhalten“, musste Antje Grotheer (SPD) lesen. Die Vizepräsidentin der Bremer Bürgerschaft sagt offen, dass da ein „Kopfkino“ läuft. Nicht per E-Mail, sondern direkt ins Gesicht wurde auch Karen Larischs Tochter vor Längerem bedroht. Auf einem Stadtfest in Mecklenburg sagten Rechtsextreme zu der Landtagsabgeordneten der Linken: „Ist das da hinten deine kleine 15-jährige Jungfrau? Wollen wir mal schauen, wie lange sie noch Jungfrau ist?“ Das hallt nach, sagt die Politikerin, die selbst bereits angegriffen wurde.

Eine Umfrage unter Politiker*innen im Februar von Radio Bremen offenbarte, dass die Hälfte der Befragten durch Hassbotschaften beleidigt und bedroht wurden. Von einer Verrohung sprechen betroffene Politiker*innen in allen Nord-Bundesländern. Bei Frauen ist eine Sexualisierung der Drohungen gängig. Oft werden brutalste Vergewaltigungen angedroht. Von den Anfeindungen sind Politiker*innen auf der kommunalen Ebene besonders betroffen. Hier, wo man sich kennt, sind Schutzmaßnahmen schwer zu treffen. Die Bedrohungen wirkten heute auch wegen der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) durch einen Rechtsextremen anders als vorher, bestätigen Politiker*innen im Gespräch.

Zu Beginn dieses Jahres sagte der Vorsitzende des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg: „Die Bedrohungslage ist leider nicht besser geworden.“ Über 1.000 Bürgermeister*innen habe der Verbund interviewt. Das Ergebnis: Ein Viertel der Befragten sei schon einmal beleidigt oder bedroht worden.

Arnd Focke reichte es Ende 2019. Der Bürgermeister von Estorf in Niedersachsen legte sein Amt nieder. Fünf Mal sei sein Auto mit Hakenkreuzen beschmiert worden, sagte der Sozialdemokrat, Drohbriefe und nächtliche Drohanrufe erhielt er auch. „Das hat meine persönliche Grenze des Erträglichen überschritten“, so Focke.

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