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: Berüh­rungsängste, lasst sie sein!

Zur 200. Pegida-Demo sprach am Montag Björn Höcke in Dresden. Widerstand schlug ihm dieses Mal auch von lang vermisster Seite entgegen

Auch dem Dresdner Bürgertum ist ein Licht aufgegangen – das die Jungen längst hatten Foto: Christian Mang/reuters

Aus Dresden Michael Bartsch

Bei Pegida lief zum 200. Mal die immergleiche zerkratzte Platte mit den immergleichen Drop-outs. Neu war an diesem Montagabend auf dem Dresdner Neumarkt aber die zweite Front, der sich die etwa 4.000 Apokalyptiker gegenübersahen.

Neben der auf etwa 2.000 Gegendemonstranten angestiegenen Zahl linker, bunter und einfach nur tanzender Gruppen flankierte überraschend auch eine Lautsprecherbühne mit dem Motto „Demokratie braucht Rückgrat“ den Pegida-Aufmarsch. Zur Teilnahme aufgerufen hatten die Kreisverbände von CDU und FDP, Kirchen, die Jüdische Gemeinde und zahlreiche prominente Unterstützer, an der Spitze Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU).

CDU-Generalsekretär Alexander Dierks verriet, dass es bereits seit Längerem Sondierungen gebe, auch der viel beschworenen bürgerlichen Mitte sozusagen ein niedrigschwelliges Artikulationsangebot zu unterbreiten. Solchen potenziellen Pegida-Gegnern wolle man Berührungsängste mit einer links dominierten Gegendemonstration nehmen. Redner spielten denn auch auf das Meine-erste-Anti-Nazi-Demo-Gefühl bei vielen an. 2.500 Demonstrierende sollen es nach Veranstalterangaben gewesen sein.

Dierks schloss nicht aus, dass man bei nächster Gelegenheit mit SPD und Grünen zusammengehen werde. Die Grünen waren sogar schon zu sehen. Das größte Transparent dieser Gutbürgerdemo aber kehrte einen Spruch der damals gerade gegründeten CDU von 1946 um. „Christdemokrat*innen, bekennt Euch und kommt zur Antifa“, prangte da unwidersprochen.

An Bekenntnisstärke hätte denn auch die Rede des stellvertretenden FDP-Kreisvorsitzenden Carsten Biesok mit jeder Antifa-Demo mithalten können. Als hätten die Freidemokraten nach dem Erfurter Eklat etwas gutzumachen, wandte sich Carsten Biesok gegen „professionelle Demagogen“, „geistige Brandstifter“ und Leute wie Björn Höcke, die mit ihrer „schrecklichen Rhetorik“ der Gesellschaft „das Krebsgeschwür der Verrohung eingepflanzt haben“. Biesok forderte die bürgerlichen Kräfte auf, „die Komfortzone zu verlassen“, weil man sich in diesem Stadium der Auseinandersetzung mit rechts nicht mehr zurückziehen könne.

Solche und die ernsthaften Sätze anderer Redner wurden nur noch übertroffen von den Kommentaren zweier Sprecher der linken Demo vom Dach des Lautsprecherwagens. Bürgerliche Mitte und fröhliche Linke vereinten sich bei dieser Pegida-Selbstfeier zumindest mit den Kilowatts ihrer Verstärkeranlagen. Im Kampf um Dezibel klar unterlegen, stand sogar der dreiste Pegida-Anführer Lutz Bachmann mehrmals vor der Kapitulation: Hilferufe ergingen an die Polizei, „den Bass leiser zu stellen“.

Die 445 eingesetzten Polizisten verfolgten an diesem vermeintlichen Pegida-Jubelabend eine riskante, aber letztlich erfolgreiche Taktik. Gegendemonstranten durften nicht nur in Hör- und Sichtweite auf dem Neumarkt protestieren. Sie rückten Pegida in „Fühlweite“ auf die Pelle, nur getrennt von einer Polizei- und Ordnerkette. Sprecher Marko Laske sagt der taz, dass man bewusst auf Absperrgitter verzichtet habe, weil die „eine besondere Symbolkraft“ ausstrahlten. Man habe darauf vertraut, dass die einreihige Polizeikette genüge.

Nicht anders beim sehr kurzen Pegida-„Abendspaziergang“, als die angeblichen Patrioten geradezu Spießruten durch ein Spalier rufender Gegendemonstranten laufen mussten. Das Vertrauen der Polizei lohnte sich, über verbale Attacken hinaus wurde niemand tätlich.

Der bürgerlichen Mitte wurde ein niedrigschwelliges Artikulations­angebot unterbreitet

Gemessen am tatsächlichen Effekt des Auftritts von AfD-„Flügel“-Führer Björn Höcke hätten sich die Gegendemonstrationen kaum gelohnt. Der „künftige Kanzler der Herzen“, so ein Plakat, kam zu spät, las seine vierzigminütige Rede ab und erntete vom teils überforderten Publikum auf dem Neumarkt am Ende nur Pflichtbeifall. Die Zuhörer warteten lediglich auf Stichworte wie „Medien“ oder „Kanzlerin“, um die in fünf Jahren eingeübte Antifon „Lügenpresse“ und „Merkel muss weg“ aufzufrischen.

Zwei Drittel seiner Redezeit widmete Höcke der formaldemokratischen Rechtfertigung seines infamen Coups zur Vorführung der anderen Fraktionen im Thüringer Landtag. Die Pegida-Anhänger aber hatten von den tatsächlichen Vorgängen bei der Ministerpräsidentenwahl offenbar keine Ahnung.

Aus dem üblichen Lamento über die von den „Altparteien“ bedrohte Demokratie und der Selbststilisierung als gemeinsame „Volksopposition“ von Pegida und der AfD ragten nur zwei Punkte heraus. „Deswegen werden wird diese sogenannte Zivilgesellschaft, die aus Steuergeldmillionen finanziert wird, dann leider trockenlegen müssen“, kündigte er für die Machtübernahme nach dem Endsieg an. Und Kanzlerin Angela Merkel unterstellte er wegen ihrer Positionierung zur Thüringer Ministerpräsidentenwahl einen „Putschversuch“.

Am Ende wurde per Lautsprecher das Lied der Deutschen vorgesungen. Weil das kein Pegida-Anhänger mitsingen kann, leuchteten stattdessen die Handy-Taschenlampen. Es war der einzige Lichtblick in dieser traurigen Jubiläumsversammlung.