Neues Album von Mhysa: Tanz auf den Ruinen

„Nevaeh“, das zweite Album der jungen US-Produzentin Mhysa, sehnt sich nach dem R&B der 90er Jahre.

Mhysa streckt sich nach der Decke

Mit Gospel und R&B per du: Mhysa Foto: Elle Perez

E. Jane kommt aus Maryland. E. Jane ist genderfluid und möchte ausschließlich mit dem Pronomen „They“ angesprochen werden. They, sie, dritte Person Plural, soll anzeigen, dass verschiedene Geschlechteridentitäten in der einen Person E. Jane zusammenkommen. Eine von ihnen bringt beim britischen Label Hyperdub dieser Tage ihr zweites Album raus: Sie nennt sich Mhysa und das Werk heißt „Nevaeh“.

Mhysa ist das Gefäß, in dem die Erfahrungen der afroamerikanischen Frau (E. Jane wurde nach ihrer Geburt als biologische Frau markiert) gebündelt werden; das erste Mal wurde das Gefäß 2017 auf dem Debüt „fantasii“ ausgeleert. Im Interview mit dem US-Magazin Rhizome erklärte Mhysa diesen (bloß auf den ersten Blick) komplizierten Zusammenhang so: „Es ist der Teil von mir, den weiße Institutionen versucht haben zu ersticken. Ich hole ihn nur raus, wenn wir uns ‚safe‘ fühlen; vornehmlich an Orten, wo schwarze Frauen sie selbst sein dürfen.“

Das Album „Nevaeh“ bedarf auch eines Safe Space, denn es liefert einen intimen Einblick ins Seelenleben der Künstler*in, die es gleichwohl als Reflexion über das Leben schwarzer Frauen und femmes anlegt. So zitiert sie das Spiritual „When the Saints Go Marching In“, das ihre Großmutter ihr vorgesungen hat, als sie noch klein war.

Klassiker des Gospel

Der Gospelklassiker führt zurück auf die Baumwollfelder der US-Südstaaten, wo Versklavte in der unbarmherzigen Zwangsarbeit kaum mehr Hoffnung hatten als die Erlösung durch das Jüngste Gericht. Das Lied taucht gleich zweimal auf dem Album auf. Einmal als A-cappella-Zwischenspiel von wenigen Sekunden Länge und dann als Finale, das über vier Minuten nur von ihrer leicht-verhallten Stimme und außerweltlichen Glocken getragen wird.

Mhysa: „Nevaeh“ (Hyperdub/Cargo)

Es ist eines der beiden Schlüsselstücke des Albums. Das andere stellt die ebenso skelettierte Version des Rap-Klassikers „If I Ruled the World“ von NAS und Lauryn Hill dar. Als „Breaker of Chains“ wiederholt sie die Zeile „If I ruled the world / I’d free all my sons / Black diamonds and pearls / If I ruled the world“ im Loop – begleitet wird dies von Rasseln und vorsichtig gesetzten Overdubs. Beide Songs sind Wegmarken der afro­amerikanischen Musikgeschichte.

Aber sie haben auch aktuelle Bedeutung als Wehklagen gegen den erstarkten Rassismus, etwa bei Aufmärschen von „White Supremacists“ und der andauernden Polizeigewalt gegen die schwarze Bevölkerung. Doch das musikalische Programm von „Nevaeh“ erschöpft sich nicht in Symbolpolitik. Kurze Soundskizzen wie „Float“ geben sich die Klinke in die Hand mit Future-R&B-Stücken wie „before the world ends“. Synth-Pads und HiHats in Trapgeschwindigkeit bieten hier die Grundierung für den hinreißenden Gesang.

Auf der Suche nach Lust

Mhysa erzählt von der Öffnung des Körpers beim Sex, von der Suche nach Lust, der Angst vor Verletzung. So entsteht eine Korrespondenz mit der eigenen Ästhetik. Genauso wenig wie das Thema des Lieds verlässt die Bed­room-Produktion das eigene Schlafzimmer; offensives Nach-außen-Treten ist nicht vorgesehen. Angreifbarkeit würde das Stück, würde das Album zerreißen.

So versteckt sich Mhysa um ihrer selbst willen im heimischen Safe Space. Konterkariert wird dies mit der Single-Auskopplung „Sanaa Lathan“. Eine fiese Bassline wird zum Teppich für ihren Crunk-Vortrag: „Like I’m from the south /Cause I’m from the south“ gibt sie hier zum Besten und ähnelt dabei Rappern der Szenen von Houston und New Orleans. R&B, Crunk, Nas, Lauryn Hill.

Mhysa huldigt dem R&B-Sound der Neunziger, die bei ihr zum Sehnsuchtsort werden. Das erinnert an den englischen Produzenten Burial, dessen Dubstep-Tracks stets die Glücksversprechen der glorreichen Rave-Zeiten reflektiert haben. Wo ehedem Fanfaren warteten, sind heute nur noch verlassene, heimgesuchte Orte zu finden, wie der englische Kultursoziologe Mark Fisher einmal postuliert hat.

Das Gleiche gilt für „Nevaeh“: Nach den Riots in Los Angeles 1992, ausgelöst durch die brutale Verhaftung von Rodney King, verbesserte sich in den Folgejahren die Situation vieler schwarzer Amerikaner. Auch Black Music erlebte eine Blütezeit, Künstler*innen wie Brandy und Aaliyah, aber auch Usher und R. Kelly wurden zu Hoffnungsträger*innen einer goldenen neuen R&B-Ära. Ihre Songs kündeten von neuen Freiheiten, von der Normalität des Alltags, einem emanzipierten, stolzen Schwarzseins in der US-Gesellschaft.

Mhysa behauptet nicht ganz zu Unrecht, von dieser Zeit seien heute nur noch Ruinen übrig: Aaliyah starb bei einem Flugzeugabsturz und über R. Kelly redet seit seinen pädophilen Verfehlungen niemand mehr. Diese Ruinen weidet Mhysa heute für spannende Musik aus und produziert eines der interessantesten Alben der letzten Zeit.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.