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Vom Wachstum zur Vielfalt

Der Markt boomt, aber damit werden die Widersprüche nicht kleiner. Unter dem Titel „Bio wirkt!“ diskutieren ökologisch ambitionierte Akteure auf der Messe Biofach & Vivaness

Viel zu tun: 10,91 Milliarden Euro Umsatz, aber nur 9 Prozent Ökoacker in Deutschland Foto: Khatawut Chaemchamras/Alamy/mauritius images

Von Alina Schwermer

Wie sehr sich die Biobranche in den letzten 30 Jahren verändert hat, zeigt schon der Umfang der Biofach. Die Weltleitmesse für Biolebensmittel begann 1990 mit 197 AusstellerInnen in der Stadthalle Ludwigshafen, rund 2.500 BesucherInnen kamen. Heuer tagt die Biofach in den Nürnberger Messehallen, hat mit der Vivaness einen ausgegliederten Naturkosmetikbereich und empfing laut eigener Darstellung im vergangenen Jahr etwa 3.200 AusstellerInnen und rund 51.000 FachbesucherInnen. Es geht um Markt, um Netzwerk und PR in einer wachsenden Branche, für die die Verbraucher 2019 10,91 Milliarden Euro ausgaben. Trotzdem machen Ökoäcker in Deutschland nur 9 Prozent aus, der Anteil der Ökolebensmittel am Lebensmittelmarkt lag 2019 bei 5 Prozent. Es besteht also weiterhin reichlich Notwendigkeit, ProduzentInnen und Regierungen vom Ökoanbau zu überzeugen, und dementsprechend lautet das Motto der diesjährigen Biofach „Bio wirkt!“, mit Ausrufezeichen versehen. Neben der Vermarktung eigener Produkte können sich die FachbesucherInnen, PolitikerInnen und Medien bei Podien, Vorträgen und Panels über die neuesten Entwicklungen der Branche informieren, mehr über Biowirkungsweisen lernen und auch selbst über Trends diskutieren.

Alle ausgestellten Biolebensmittel sind zertifiziert, nach der EU-Ökoverordnung und den Akkreditierungsrichtlinien der IFOAM, der Interna­tio­nalen Vereinigung der ökologischen Landbaubewegungen. Präsentiert wird beinahe alles, was essbar ist, von Kartoffeln und Pilzen über Fisch, Wurstwaren, Milch- und Fleisch­ersatz, Obst, Gemüse, Eis bis hin zu Bier und Wein, dazu andere Güter wie etwa Reinigungsmittel und Textilien. Daneben diskutieren ExpertInnen über die zentralen Herausforderungen der Zukunft. Zum Beispiel über fruchtbare Böden, denn weltweit nehme der Humusgehalt stetig ab – auch bei ökologisch bewirtschafteten Böden. „Wirkt Öko gleich regenerativ?“, fragt rhetorisch die Veranstaltung, bei der es darum geht, wie der Ökolandbau auch auf diesem Gebiet eine Vorreiterrolle einnehmen könne. „Die Wissenschaft zeigt, dass Bio-Felder lebendiger sind – sie liegen bei der Artenvielfalt vorn“, schreibt eine weitere Veranstaltung. „Auch viele Bio-Hersteller wirtschaften so, dass es in den Feldern mehr blüht und zwitschert.“ Doch wie Lebensräume für Feldtiere mit produktiver Landwirtschaft einhergehen können, ist oft eine Herausforderung. Und wer sich statt für Boden fürs Wasser interessiert, kann sich etwa informieren, welch vielfältige Lösungen Bio für vergiftetes und durch Bodenerosion bedrohtes Wasser bietet.

Präsentiert werden außerdem die Jahreszahlen der Branche. „Politisch steht unter anderem natürlich die gemeinsame EU-Agrarpolitik oben auf der Agenda. Denn die entscheidet mit vielen Milliarden Euro, welche Landwirtschaft sich künftig lohnt“, sagt Joyce Moewius, Pressereferentin beim Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). „Besonders wichtig für alle Biounternehmen von Landwirt bis Händler ist auch das neue Biorecht, bei dem aktuell die genauen Regeln festgelegt werden.“ Das Wachstum und die Mainstreamisierung von Bio allerdings werden nicht von allen positiv gesehen; auch die Tatsache, dass Discounter wie Aldi und Lidl zunehmend auf Bio setzen, wird in der Branche kritisch diskutiert. Bleiben die Lebensmittel fair und hochwertig, oder gehen die einzelnen Bioläden gegen die Discounter zugrunde? Die Biofach widmet den kritischen Aspekten zumindest einzelne Diskussio­nen. „Vom Premiumsegment zum Mainstream: Wie viel Bio verträgt der Markt?“, fragt eine Veranstaltung. Was bedeutet das rasante Wachstum für landwirtschaftliche Betriebe und Marktstrukturen? Droht demnächst ein Preisverfall? Bei einer weiteren Debatte geht es um Erfahrungen und Probleme im Biolebensmitteleinzelhandel. Wie gelingt es, Absatzmärkte für BiobäuerInnen von morgen zu schaffen?

Und wenn die Gegenwart ausreichend besprochen ist, bleibt als Thema die Zukunft. Auch im Lebensmittelvertrieb hat Bio seinen Einfluss auf die Mainstreamkultur genommen: Unverpackt-Läden sind das neue große Ding, zunehmend finden sie vor allem bei Großstadtmilieus Zuspruch. Aber welche Probleme lösen sie tatsächlich und welche nicht? „Es gibt auch Grenzen“, schreibt eine Veranstaltung. „Die Unverpackt-Läden zeigen, dass es Bereiche wie Marmelade oder Joghurt gibt, in denen es bisher ohne Verpackung nicht geht. Wie viel Produkt geht durch Transport, Portionierung, Kunden und Großverpackung verloren? Könnten die Unverpackt-Versionen aktuelle Probleme wie Mineralölrückstände minimieren?“ Vor allem brauche es mehr Kooperation, denn bislang arbeiteten viele AnbieterInnen für sich allein an Lösungsansätzen.

Und von der aktuellen, unmittelbaren Zukunft ist es nur ein kleiner Schritt in die weiter entfernte Zukunft. Eine, bei der man sich fragen muss, ob der Handel, wie wir ihn kennen, tatsächlich die beste Lösung für die Biobranche ist. Welche Alternativen es zu klassischen Konzepten gibt, mit denen man die Beziehung von ProduzentInnen und KonsumentInnen neu denken kann. „Innovative Ansätze für eine andere Versorgungsstruktur“ verspricht die Biofach. Und spannende Persönlichkeiten gibt es noch dazu: die weltberühmte Schimpansenforscherin Jane Goodall hält auf der Eröffnung die Keynote.

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