Tag (((i))) eskaliert

Am Mittwoch wird über das Verbot der linksradikalen Plattform „linksunten.indymedia“ entschieden. Eine Solidemo am Samstag in Leipzig schlug in Gewalt um

Samstagabend in Leipzig: Autonome üben sich in martialischem Gehabe Foto: afp

Aus Leipzig Helke Ellersiek

Die halbe Strecke liegt schon hinter der Demo, als um 19 Uhr die Eskalation beginnt, die so viele für „Tag (((i)))“ erwartet haben. Unter dem Motto „Wir sind alle linksunten – Pressefreiheit verteidigen, den autoritären Staat angreifen“ zeigten am Samstagabend in Leipzig etwa 1.600 Menschen ihre Solidarität mit der linksradikalen Internetplattform „­linksunten.indymedia“.

Deren Weiterbetrieb war nach den G20-Protesten zur Straftat erklärt worden. Über die Zukunft der Plattform wird am Mittwoch das Bundesverwaltungsgericht verhandeln, auf dessen Vorplatz die Solidemo am Samstagnachmittag friedlich gestartet war.

Doch dann knallt es auf halber Strecke nach Connewitz – in der Leipziger Südvorstadt. Jemand hat einem parkenden Mercedes die Scheibe eingeschlagen. Die Alarmanlage heult los, der Aufzug stoppt. Im roten Bengalolicht fliegen nun Böller auf die Filialen einer Supermarkt- und einer Pizzakette. Panik bricht aus, vor den Geschäften steht eine Polizeikette im Böller- und Pflastersteinhagel. Fenster gehen zu Bruch. Im Pizzaladen stehen Mitarbeiter erschrocken hinter einer ebenfalls gesprungenen Scheibe.

Das ist sie, die Eskalation, die Medien, Polizei und Politik an diesem Samstag fast erwartet hatten, eine Woche vor der Oberbürgermeisterwahl. Linksradikale Gruppen aus ganz Deutschland hatten mobilisiert zur ersten größeren linksautonomen Demo nach den Ereignissen der Silvesternacht in Connewitz. Einige Gruppen hatten zur Gewalt gegen die Polizei aufgerufen, die Parteien im Rathaus zur Gewaltlosigkeit.

Polizeipräsident Torsten Schulze hatte für den Tag eine deeskalierende und kommunikative Strategie angekündigt, gleichzeitig aber ordentlich aufgefahren: Schon seit dem Vorabend hatte die Polizei um die Demoroute einen Kon­troll­bereich errichtet, wo sie ­Passanten selektiv auf Waffen und Vermummungsgegenstände durchsuchte.

Am Samstag dann standen Beamte aus mehreren Bundesländern, Pferde, Wasserwerfer und Hubschrauber bereit. Während der Demo waren davon dann aber nur die Beamten selbst zu sehen, und das mit großem Abstand vor und hinter dem Demozug. Auf eine Kette zum Schutz der Geschäfte verzichtete die Polizei bis zur Eskalation. Durchaus eine deeskalierende Strategie.

Die Bilanz am Samstagabend: nach Polizeiangaben 13 verletzte Beamte, sechs Festnahmen

Die Bilanz am Samstagabend: nach Polizeiangaben 13 verletzte Beamte und sechs Festnahmen. Zudem einige verletzte Demonstranten, vier demolierte Schaufenster, eine kaputte Haltestelle, mehrere zersplitterte Autofenster. Auch versuchten Einzelne, mit Drohungen und Einschüchterungen zu verhindern, dass die Presse filmen konnte – selbst wenn nur Schuhe aufgenommen wurden. Verstöße gegen Auflagen kommentierte die Versammlungsleitung kaum, Demonstrierende wurden vom Pflastersteinesammeln oder -werfen nicht abgehalten.

Für das zuletzt angeschlagene Image der Leipziger Polizei dürfte der Tag ein Pluspunkt sein. Nachdem sie sich nach der Silvesternacht vorwerfen lassen musste, die Ausschreitungen mit ihrer Überpräsenz gegenüber den friedlich Feiernden erst provoziert zu haben, scheint der Polizeipräsident mit der Strategie offener Kommunikation und vergleichsweise gemäßigtem Auftreten auf Kritik eingegangen zu sein – und trotzdem ist die Demo eskaliert. Selbst linke Abgeordnete äußerten ihr Unverständnis.

Schließlich musste die Versammlungsleitung die Demonstration auflösen. Eine neu angemeldete Demo durfte dann noch den restlichen Weg nach Connewitz weiterziehen – friedlich, aber mit deutlich weniger Teilnehmern. Zum gemeinsamen Protest mit Kundgebungen dort gegen den rechten Politiker André Poggenburg kam es so nicht mehr. Dessen Veranstaltung zählte allerdings auch nur rund zehn Teilnehmer.

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