Coronavirus bremst Chinas Wirtschaft: 132 Tote und Durchhalteparolen

Die chinesische Führung verordnet längere Ferien, dennoch bricht der Binnenmarkt ein. Die Corona-Epidemie legt Chinas Wirtschaft lahm.

Mann mit Schutzmaske wird von 3 Männern in weißem Schutzanzug weggeschoben

Medizinisches Personal mit Patient in Wuhan Foto: Chinatopix/ap

PEKING taz | Am Montag reiste erstmals ein Parteikader aus der Führungsriege in das Krisengebiet Wuhan, das Zentrum des Ausbruchs des Coronavirus: In blauer Schutzausrüstung tourte Premierminister Li Keqiang durch die Krankenhäuser der Stadt, über ein Walkie-Talkie erkundigt sich der 64-jährige Politiker nach dem Wohlsein eines Quarantäne-Patienten.

Auf einem Kurzvideo ist zu sehen, wie Li die provisorische Baustelle besucht, an der ein Tausend-Betten-Krankenhaus allmählich Form annimmt. Ob sie irgendwelche Schwierigkeiten erlebt hätten, will der Politiker von den Bauarbeitern wissen. „Nein“, stimmen diese im Chor unisono zurück.

Mit solchen Durchhaltevideos will die Regierung an den Patriotismus ihrer Bevölkerung appellieren. Dabei hat sich die Bedrohungslage durch den Coronavirus erneut weiter zugespitzt: Die Behörden haben insgesamt 132 Tote bestätigt und rund 3.000 Infizierte.

Dass die Zahl zumindest in den nächsten Tagen weiter steigen wird, daran besteht kein Zweifel: Mindestens 6.000 Patienten gelten als Verdachtsfälle, bei denen die medizinischen Tests jedoch noch laufen. Mehrere hundert Infizierte befinden sich zudem in kritischem Zustand.

Abermillionen Menschen auf Familienbesuch

Um das Virus eindämmen zu können, haben die Behörden nun nochmals drastischere Maßnahmen eingeleitet: Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes wurde die Ferienwoche zum Neujahrsfest um drei Tage verlängert.

Mit der Maßnahme möchte man verhindern, dass die Millionen Chinesen, die sich derzeit auf Familienbesuch in den Provinzen des Landes befinden, nicht allzu schnell wieder in die Metropolen an den Ostküsten des Landes zurückreisen – und den Erreger möglicherweise weiter durch das Land tragen.

Bereits jetzt hat die Pekinger Lokalregierung den Semesterbeginn für sämtliche Schulen und Universitäten innerhalb der Stadtgrenzen auf unbestimmte Zeit verschoben. Schanghais Bildungsbehörden haben ebenfalls ihren Grund- und weiterführenden Schulen sämtlichen Klassenunterricht vor dem 17. Februar verboten. Auch Tageseinrichtungen für Kleinkinder würden bis Ende Februar geschlossen bleiben.

Bei diesen Einschränkungen wird es voraussichtlich nicht bleiben. Die Stadt Suzhou, bekannt als ostchinesisches Zentrum der Fertigungsindustrie, ging noch einen Schritt weiter und wies die Arbeiter der Stadt an, bis zum 9. Februar zu Hause zu bleiben. Auch das riesige IT-Konglomerat Tencent in Shenzhen hat eine ähnliche Weisung an seine Angestellten herausgeben.

Zu Hause statt Shoppingmall

So sinnvoll solche Maßnahmen aus medizinischer Sicht sind, machen sie doch gleichzeitig deutlich, dass der Ausbruch des Virus neben menschlichen Tragödien auch zu schwerwiegenden wirtschaftlichen Einbußen führen wird.

Das Virus breitet sich zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt aus: Die Ferienwoche zum chinesischen Neujahr gilt unter normalen Umständen als eine der wichtigsten Perioden für den Binnenkonsum. 2019 gaben die Chinesen in dieser Zeit umgerechnet 149 Milliarden Dollar aus – vor allem in den Bereichen Gastronomie, Tourismus und Einzelhandel.

Dieses Jahr jedoch sind aufgrund der Quarantäne und der verunsicherten Stimmung genau jene Bereiche besonders eingebrochen. Die meisten Familien bleiben zu Hause, anstatt in Restaurants oder Shoppingmalls zu gehen. Kinos und Vergnügungsparks sind ohnehin geschlossen.

Das wird die angeschlagene Wirtschaft weiter schwächen, schließlich gilt der Inlandskonsum als einer der Pfeiler für das Wirtschaftswachstum des Landes. Derzeit steigt das Bruttoinlandsprodukt mit 6,1 Prozent so langsam wie seit 30 Jahren nicht mehr – nicht zuletzt auch wegen des Handelskriegs mit Washington der letzten zwei Jahre.

Vergleich mit Sars

In einer ersten Einschätzung geht der Analysedienst Economist Intelligence Unit von einem Einbruch des Wirtschaftswachstums von bis zu einem Prozentpunkt für 2020 aus.

Zum Vergleich: Die Sars-Epidemie in den Jahren 2002 und 2003, an der rund 350 Menschen in Festlandchina verstorben sind, soll China laut Expertenschätzungen zwischen ein bis zwei Prozentpunkte Wachstum gekostet haben. Allein im Tourismussektor brachen die Einnahmen im Jahr 2003 um bis zu 60 Prozent ein. Die US-Denkfabrik Center for International Development beziffert den finanziellen Schaden für China auf insgesamt 25 Milliarden US-Dollar.

Bei der jetzigen Gesundheitskrise hängt der mögliche Wirtschaftsschaden von den nächsten Tagen und Wochen ab. Die jüngsten Gegenmaßnahmen zur Eindämmung des Virus werden sich auf jeden Fall schon bald bemerkbar machen – auch für das Ausland: Sämtliche Gruppenreisen wurden in China gestoppt – sowohl für internationale Touristen als auch für Chinesen. Laut Bloomberg haben chinesische Touristen im Jahr 2018 rund 110 Milliarden Euro für Auslandsreisen ausgegeben – ein weltweiter Rekord.

Auch an den Aktienkursen schlägt sich die gedrückte Stimmung nieder. Der chinesische Yuan ist am Montag im Vergleich zum US-Dollar um 0,8 Prozent gesunken. Die Ölpreise sind so stark eingebrochen wie seit vier Monaten nicht mehr, schließlich gilt China als weltweit größter Verbraucher des schwarzen Golds.

Deutsche Staatsbürger evakuieren?

Die Bundesregierung erwägt derweil die Evakuierung deutscher Staatsbürger aus Wuhan. „Wir ziehen jetzt auch eine mögliche Evakuierung aller ausreisewilligen Deutschen in Betracht“, sagte Außenminister Heiko Maas am Montag in Berlin. Am Nachmittag sollten in Wuhan ein Team deutscher Konsular-Vertreter eintreffen.

Derzeit berate der Krisenstab im Auswärtigen Amt über notwendige Maßnahmen, sagte Maas. „Reisende sollten überlegen, nichtzwingende Reisen nach China zu verschieben oder zu unterlassen“, fügte er hinzu. Die deutsche Botschaft habe ständigen Kontakt zu den deutschen Staatsbürgern in Wuhan, die man auf eine zweistellige Zahl schätze. Man prüfe und bereite sich auf alle Optionen vor.

Wie angespannt die Lage ist, zeigt sich auch auf einer aufgeheizten Pressekonferenz der Gesundheitskommission in Peking. „Beruhigen Sie sich!“, sagte der chinesische Gesundheitsexperte Gao Fu vom Zentrum für Seuchenbekämpfung und -Prävention vor der internationalen Presse: „Wir alle sind momentan besorgt“.

Besonders im Epizentrum Wuhan bleibt die Lage angespannt: 100.000 Einweg-Schutzanzüge bräuchten die örtlichen Krankenhäuser täglich, die chinesischen Fabriken können derzeit jedoch nur ein Drittel davon produzieren.

Menschenschlangen vor dem Bahnhof

Laut dem Transportministerium wurden tausende Taxis in Wuhan dazu angeordnet, um die Ärzte, Forscher und weiteres Krankenhauspersonal zu ihrem Arbeitsort zu bringen. Sämtlicher öffentlicher Verkehr – darunter auch unautorisierte Autos auf den Straßen – wurde bereits verboten.

Wie tief verunsichert die Menschen sind, hat sich am Montag in Peking gezeigt: Riesige Menschenschlangen haben sich am Vormittag vor dem Westbahnhof gebildet, offensichtlich um Züge aus der Stadt zu ergattern. Zuvor kursierten Gerüchte in den sozialen Medien, dass die chinesische Hauptstadt möglicherweise ebenfalls unter Quarantäne gestellt werden könne.

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