Initiative für barrierefreies Posten: Inklusives Internet
Gehörlose oder blinde Menschen werden in sozialen Medien oft ausgeschlossen. Eine Initiative möchte helfen, das Internet barrierefrei zu gestalten.
Manchmal kann Heiko Kuhnert im Internet nicht lachen. Das liegt nicht daran, dass er keinen Humor hat. Ein Tweet mit einem besonders lustigen Foto kommt bei Kuhnert so an: „Foto“. Genau das sagt ihm die Sprachausgabe, mit der er Twitter nutzt. Nicht besonders witzig. Dabei könnte es ganz einfach sein.
Twittert man ein Foto, kann man eine Bildbeschreibung hinzufügen. Blinde Nutzer*innen können so an einem Tweet mit Foto teilhaben. Doch die Einsicht, dass genau das wichtig ist, fehle noch bei den meisten Leuten, sagt Kuhnert. „Sie haben keinen Bock auf den Mehraufwand.“
Oft wüssten Nutzer*innen auch gar nicht, dass sie andere Menschen ausschließen. Auf Instagram können gehörlose Menschen an gesprochenen Storys nicht teilhaben. Bei Tiktok konnte sich Heiko Kuhnert nicht einmal anmelden. „Es fühlt sich an wie ein Ausschluss, wenn Plattformen entwickelt werden, die für mich nicht zugänglich sind“, erklärt Kuhnert. Ein Gefühl, dass Menschen mit Behinderungen aus dem Analogen kennen.
Mehr Zugänglichkeit
Um das zu ändern und Wissen über Barrierefreiheit in den sozialen Netzwerken zu vergrößern, hat Heiko Kuhnert gemeinsam mit anderen Aktivist*innen für Inklusion die Initiative barrierefreiposten.de gegründet. Gemeinsam mit Natalie Dedreux, Clara Belz, Laura M. Schwengber und anderen wollen sie für Inklusion im Netz sensibilisieren. Als gemeinsamen Nenner beschreiben die Initiator*innen den Wunsch nach mehr Zugänglichkeit und „die Symbiose mit unseren Smartphones“. Auf ihrer Website sammeln sie Anleitungen für barrierefreie Postings, auf dem dazugehörigen Twitter- und Instagram-Account teilen sie ihr Wissen.
„Füge eine Bildbeschreibung hinzu. Beschreibe GIFs im Text. Untertitele Deine Videos. Schreibe kurze Sätze. Erkläre schwierige Wörter. Verwende Gebärdensprache und Leichte Sprache.“ Wie genau das gehen kann, beschreiben sie selbst im Detail, mit anschaulicher Bebilderung und in einfacher Sprache, also zugänglich für alle.
Eine, die schon lange Zeit digital und barrierearm kommuniziert, ist Ninia La Grande. Ihren über 16.000 Follower*innen gibt sie in den Videos ihrer Instagram-Storys regelmäßig Buchtipps, ganz selbstverständlich mit Untertiteln. „Ich bekomme sehr viel Feedback auf die Untertitel und meine Bildbeschreibungen in den Foto-Postings“, erzählt die Autorin aus Hannover. Und auch, dass sich nicht nur Menschen mit Behinderung darüber freuen, sondern alle, die gerade nicht den Ton hören können – weil sie Kopfhörer nicht dabei haben oder gerade ein Kind neben ihnen schläft.
Es ist Bildungsarbeit
Barrierefreies Posten ist demnach für alle gut, nicht nur für die Personen, die darauf angewiesen sind. Ninia La Grande ist mittlerweile nicht nur Influencerin für gute Bücher, sondern auch für Untertitel.
Kuhnert nennt das Bildungsarbeit. Sie sei auch ein Teil der Initiative. Immer wieder kämen Rückmeldungen von Menschen ohne Behinderungen, die sich noch überhaupt keine Gedanken zur Zugänglichkeit ihrer Tweets, Fotos und Storys gemacht hätten. Und die jetzt versuchen, mit weniger Barrieren zu posten.
Doch es gibt auch offene Fragen. „Ein ungeklärter Streit ist die gendergerechte Sprache“, sagt Kuhnert. Zwar sei gendergerechte Sprache an sich bei der Initiative nicht umstritten, die Umsetzung allerdings schon. Blinde Menschen, die Vorlesesoftware benutzen, beschwerten sich beispielsweise manchmal über das Gendersternchen. Aus Mitarbeiter*innen wird dann MitarbeiterSternchenInnen. Kuhnert selbst hat sich längst daran gewöhnt.
Die Initiative sieht sich auch wegen der unterschiedlichen Anforderungen an Barrierefreiheit vor allem als „ein Pool für Wissen und Meinungen“. Sowohl Website als auch die Social-Media-Kanäle sollen gefüllt werden nicht nur mit dem Erfahrungsschatz der Initiator*innen, sondern von allen Menschen, die gemeinsam an einem inklusiveren Internet arbeiten wollen. „Das 100-prozentig barrierefreie Social-Media-Posting, das alle Bedarfe abdeckt, gibt es vielleicht nicht“, sagt Kuhnert, „aber es lohnt sich, darüber nachzudenken.“
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