Nötige Neuregelung der Organspende: Deutsches Organversagen

Drei Menschen sterben täglich in Deutschland, weil sie kein Spenderorgan erhalten. Die Widerspruchslösung wäre einen Versuch wert.

Das Piktogramm eines menschlichen Herzens

Zu ängstlich für ein großes Herz? Deutschland fehlt es an Spenderorganen Foto: Unsplash/ Alexandru Acea

Endlich kommt das Thema Organspende auf die Tagesordnung: Im Januar soll der Bundestag über ein neues Transplantationsgesetz abstimmen. Derzeit sterben in Deutschland drei Menschen pro Tag, weil sie keine Niere, Bauchspeicheldrüse oder Lunge erhalten haben.

Andere EU-Länder sind längst weiter: Dort gilt die Widerspruchslösung. Alle BürgerInnen sind Organspender – falls sie keinen Einspruch einlegen. Diese Regelung soll auch in Deutschland greifen, wenn es nach CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn und SPD-Experte Karl Lauterbach geht.

Leider ist keineswegs gesichert, dass sich ihr Konzept durchsetzt. Nicht nur viele Grüne und Linke sind dagegen – auch die Kirchen machen mobil. So hat der evangelische Prälat Martin Dutzmann alle Bundestagsabgeordneten angeschrieben, weil er findet: Wann immer persönliche Daten weitergegeben werden, sei ein Einverständnis nötig. „Das darf bei meinem Herzen oder meiner Niere doch nicht andersherum sein.“

Der Prälat irrt. Es trifft schlicht nicht zu, dass die BürgerInnen stets gefragt würden, wenn ihre Daten verwendet werden. Sonst könnte die Polizei ihre Ermittlungsarbeit sofort einstellen. Beim Datenschutz werden individuelle Rechte und soziale Kosten pragmatisch gegeneinander abgewogen.

Diesen Pragmatismus würde man sich auch in der Organdebatte wünschen. Denn Umfragen ergeben ein bizarres Bild: 84 Prozent der Deutschen finden Organspenden richtig – aber nur 36 Prozent haben einen Ausweis.

Ein Organspendeausweis im Portemonnaie würde täglich daran erinnern, dass das Leben endlich ist

Diese Diskrepanz dürfte dadurch zu erklären sein, dass viele Menschen ungern über Krankheit und Tod nachdenken. Ein Organspendeausweis im Portemonnaie würde sie täglich daran erinnern, dass ihr Leben endlich ist – also haben sie lieber keinen. Die Widerspruchslösung ist daher elegant: Organspenden bleiben freiwillig, erfordern aber nicht mehr, dass man sich mit der eigenen Vergänglichkeit beschäftigen muss.

Trotzdem setzen viele GegnerInnen lieber auf die mündige BürgerIn statt auf die Widerspruchslösung: Wer einen Personalausweis beantragt, soll künftig auch gefragt werden, wie er zur Organspende steht. Viele Menschen dürften jedoch instinktiv auf Abwehr schalten, wenn plötzlich, mitten in einer Amtstube, das leidige Thema des eigenen Todes verhandelt würde. Spontan dürften viele Nein sagen, obwohl sie nichts gegen eine Organspende hätten.

Verbale Aufklärung hat manchmal Grenzen. Man sollte es mit der Widerspruchslösung versuchen – allein, weil 2.000 Menschen im Jahr sterben, für die es keine Spenderorgane gibt.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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