Runde Tische statt Bauerndemo: „Fragen, was die Bauern brauchen“

Landwirte fürchten, dass neue Auflagen zum Insektenschutz ihre Existenz ruinieren. Die Ökoexpertin Tanja Busse plädiert für regionale runde Tische.

Einen Bien fliegt über einen Blühstreifen

Klatschmohn und Biene Foto: Thomas Warnack/dpa

taz: Frau Busse, Bauern stellen bundesweit grüne Kreuze auf Äckern auf, um gegen Auflagen zum Insektenschutz zu protestieren. Interessen von Naturschützern und Landwirten prallen aufeinander wie selten zuvor. Was muss die Bundesregierung tun?

Tanja Busse: Sie muss erstens vermitteln, dass es dringend ist, Insekten zu schützen. Nicht weil sie so schön sind, sondern weil es um das Überleben ganzer Ökosysteme geht, ohne die die Menschen nicht existieren können. Zweitens sollte sie nicht einfach erklären, wir verbieten jetzt dieses und jenes Insektengift.

Was sollen sie sonst tun?

Sie müsste sich an die Landwirte wenden und fragen, was sie brauchen, um die Umweltauflagen einhalten zu können. Für sie wird die Produktion teurer, wenn sie Spritzmittel nicht mehr einsetzen dürfen. Es wäre schlau, ihnen nicht nur Verbote zu präsentieren, sondern Optionen für eine andere bessere Wirtschaftsweise – vor allem für eine regionale Vermarktung zu fairen Preisen.

Was sind faire Preise?

Das lässt sich nicht pauschal in Cent sagen. Aber die heutigen Preise lügen, weil sie die ökologischen Lasten nicht widerspiegeln. Wird das Grundwasser belastet, weil Agrarbetriebe zu viel Gülle auf die Felder bringen, wird die Aufbereitung des Trinkwassers aufwändiger.

Sie sagen, wer das Sterben der Insekten nicht stoppt, nimmt Gesundheitsrisiken für den Menschen in Kauf – Sie übertreiben?

Überhaupt nicht. Forscher verstehen immer besser die Anfälligkeit von Ökosystemen. Je weniger Tier- und Pflanzenarten da sind, die bestimmte Aufgaben übernehmen, umso eher kollabieren die Ökosysteme. In der Ostsee sind bereits auf Zehntausenden von Quadratkilometern Todeszonen entstanden.

Direkt krank macht das aber nicht?

Die Menschheit gefährdet ihre eigene Ernährung. Das andere: Erste Forschungen zeigen, dass eine große Artenvielfalt ein geringeres Infektionsrisiko bedeutet. Der Mensch ist dann besser vor Krankheiten geschützt, die von Parasiten übertragen werden.

Welche Parasiten meinen Sie?

Zecken zum Beispiel. Die Braunschweiger Wissenschaftlerin Dania Richter hat gezeigt, dass Zecken, die bei Rindern auf der Weide Blut saugen, nicht mehr die gefährliche Borreliose übertragen. Normalerweise beißt die Zecke eine Maus, die Borrelien im Blut hat, und infiziert sich. Beißt sie dann einen Menschen, kann sie den Erreger mit ihrem Speichel weitergeben. Saugt sie aber zuvor bei einem Wiederkäuer Blut, sind die Borrelien nicht mehr da. Noch ist unklar, warum. Doch unbestritten ist, dass einzelne Arten zu einer Plage werden können, wenn die Vielfalt schwindet, weil sie sich ungestörter ausbreiten.

Tanja Busse

„Es wäre sehr unfair, eine einzige Berufsgruppe zum Sündenbock zu machen. Umsteuern müssen alle, die zu viel konsumieren, reisen, Müll produzieren.“

49, Ökoexpertin, wuchs im nordrhein-westfälischen Eversen auf einem Hof auf. Ihr Vater riet ihr davon ab, ihn zu übernehmen. Heute lebt Busse mit ihrer Familie in Hamburg und hat als Journalistin u.a. für die Zeit und den WDR gearbeitet sowie zahlreiche Bücher geschrieben – aktuell "Das Sterben der anderen: Wie wir die biologische Vielfalt noch retten können" (Blessing Verlag, 18 Euro). Vor kurzem hat Busse schließlich doch vier Hektar vom Hof in Eversen übernommen, die sie als Streuobstwiese bewirtschaftet.

Lässt sich das Artensterben überhaupt noch stoppen?

In ganzen Landstrichen Deutschlands sind in den letzten Jahren etwa die Turteltauben verschwunden. Und der Weltbiodiversitätsrat warnt, dass eine Million Arten in den kommenden Jahrzehnten vor dem Aussterben steht. Aber es gibt Riesenchancen, dem etwas entgegenzusetzen. Das zeigt sich dort, wo Landwirte und Naturschützer wieder Vielfalt in die Landschaft bringen, Hecken, Sträucher. Wir wissen, wie das geht: Biodiversität und Landwirtschaft zusammenzubringen.

Die Landwirte sind aber nicht die einzigen Schuldigen.

Natürlich nicht! Wer sagt denn das? Es wäre sehr unfair, eine einzige Berufsgruppe zum Sündenbock zu machen. Umsteuern müssen alle, die zu viel konsumieren, reisen, Müll produzieren. Es klingt so banal: Aber unendliches Wachstum in einer endlichen Welt ist nicht möglich.

Sorgt es Sie, dass Bauern in den Ruin getrieben werden könnten, weil sich Landwirtschaft mit den neuen Auflagen erst recht nicht mehr rechnet?

Ja, das sorgt mich sehr. Nehmen wir die Düngeverordnung: 1991 hat die EU beschlossen, das Trinkwasser vor zu viel Nitrat zu schützen. Seitdem hat die Bundesregierung – obwohl sie das Ziel selbst mit formuliert hatte – alle Probleme ausgesessen und vertagt. Berater, Behörden und Banken haben Landwirte in viehintensiven Regionen in immer größere Ställe investieren lassen, als längst klar war, dass die viele Gülle Probleme macht. Jetzt hat die EU die Bundesrepublik verurteilt zu handeln, und die Verschärfung der Düngeregeln trifft allein die Landwirte. An ihnen bleibt alles hängen. Alle anderen, die vom billigen Fleisch aus diesem System profitiert haben, werden nicht zur Verantwortung gezogen. Die Bauern sind verzweifelt, rufen nach weniger Auflagen. Die sind aber gesellschaftlich nicht mehr zu rechtfertigen. Der Schaden ist zu groß.

Die Lösung?

Regionale runde Tische. Krankenkassen fordern, tut was, weil Kinder zu viel vom Falschen essen. Wasserversorger fragen sich, wie sie Nitrat aus dem Wasser bekommen. Naturschützer warnen, Landwirte bangen um ihre Existenz. Das ist das Gegenteil einer Win-win-Situation. Darum sollten sich in einer Region jetzt alle zusammensetzen und überlegen, wie sie regionale Wertschöpfungsketten für gesundes Essen mit fairen Preisen aufbauen.

Wird das Essen nicht zu teuer?

Das scheint nur so, weil sich alle an die falschen Preise gewöhnt haben.

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