Massenproteste in Kolumbien: Kolumbien steht auf

Über 200.000 Menschen gehen in Kolumbien gegen die Rechtsregierung von Präsident Iván Duque auf die Straße. Es bleibt überwiegend friedlich.

Ein Mann zeigt auf einer Demonstration Fotos von vermissten Menschen

Protest gegen die Regierung in Bogotá. Der Demonstrant zeigt Bilder von vermissten Menschen Foto: Sergio Acero/dpa

BOGOTÁ ap/taz | In Kolumbien sind am Donnerstag nach Polizeiangaben über 200.000 Menschen gegen die rechtskonservative Regierung des Präsidenten Iván Duque auf die Straße gegangen. Für die Demonstrationen war seit Monaten mobilisiert worden. Zunächst hatten Gewerkschaften zum Generalstreik aufgerufen – in den vergangenen Wochen hatten sich Studierende, Lehrkräfte, Künstler*innen und diverse andere Sektoren angeschlossen.

Die Regierung hatte schon in den Tagen zuvor angekündigt, die Armee in Alarmbereitschaft zu versetzen, und hatte alle Grenzübergänge des Landes für den Donnerstag geschlossen.

Während die schon am frühen Donnerstagmorgen begonnenen Demonstrationen überwiegend friedlich blieben, kam es vereinzelt zu Ausschreitungen. Am Donnerstagabend warfen Demonstranten in der Hauptstadt Bogotá Steine auf Bereitschaftspolizisten, die mit dem Einsatz von Tränengas reagierten.

Einige vermummte Protestierende versuchten sich zudem Zugang zum Kongress zu verschaffen und rissen ein Stück Stoff ein, das ein historisches Gebäude auf dem zentralen Plaza de Bolívar schützt.

Grenzen geschlossen, Polizei und Militär auf der Straße

Die landesweiten Demonstrationen gelten als die größten Proteste in der jüngeren Geschichte Kolumbiens. Gewerkschaftler, Studenten und Lehrer machten ihrem Unmut über wirtschaftliche Ungleichheit, Gewalt gegen Indigene und Aktivisten sowie Korruption Luft.

Duques Regierung schickte 170.000 Einsatzkräfte auf die Straßen, um öffentliche Ordnung und Sicherheit zu gewährleisten. Zudem ließ sie die Grenzübergänge schließen und 24 Venezolaner unter dem Vorwurf abschieben, zum Schüren von Unruhen eingereist zu sein. Der Bürgermeister von Cali verhängte eine nächtliche Ausgangssperre über die Stadt.

Trotz der regen Beteiligung an den Kundgebungen zeigten sich Experten skeptisch, dass sich Kolumbien nun auf eine anhaltende Protestwelle wie in Bolivien oder Chile gefasst machen muss. Das Land befinde sich nicht in einem aufrührerischen Vorzustand, sagte Yann Basset von der Rosario-Universität in Bogotá. Er glaube nicht, dass es eine allgemeine Ablehnung des politischen Systems gebe.

Dennoch gelten die Proteste als Weckruf für Duque, der aktuell nur auf Zustimmungswerte von 26 Prozent kommt.

Reichlich Gründe zum Protestieren

Vor den Demonstrationen startete der Staatschef eine Charmeoffensive und suchte die Nähe zu Bürgern. Zudem trat er Behauptungen in sozialen Medien entgegen, wonach er das Rentenalter anheben und Löhne für junge Arbeiter senken wolle. „Ich bin nicht hier, um über einen Rosengarten zu sprechen“, sagte Duque in einem Radiointerview. „Ich spreche über ein Land, das sich erholt; eine Wirtschaft, die sich verbessert und heute zu den besten in Lateinamerika zählt.“

Viele Kolumbianer sehen indes reichlich Grund zur Verärgerung. Trotz des Friedenspakts zwischen der Vorgängerregierung und der linken Rebellengruppe Farc von 2016 versinken große Teile Kolumbiens noch immer in Gewalt. Illegale bewaffnete Gruppen ringen um Gebiete, aus denen sich der Staat schon vor langer Zeit zurückgezogen hat.

Hunderte indigene Führer*innen und Sozialaktivist*innen sind ermordet worden, aufgeklärt wurden die meisten der Verbrechen nicht.

Zuletzt machte Duques Regierung außerdem eine Serie von peinlichen Rückschlägen zu schaffen. Guillermo Botero trat Anfang November als Verteidigungsminister zurück, nachdem herauskam, dass mindestens acht Minderjährige bei einer Militäroperation gegen eine Splittergruppe der Farc umgekommen waren. Gegen Duques Verbündeten und Mentor, Expräsident Álvaro Uribe, laufen Ermittlungen wegen mutmaßlicher Beeinflussung von Zeugen.

Und Duque zog Kritik auf sich, als er bei der Generaldebatte der UN-Vollversammlung im September Fotos als Beweis hochhielt, wonach die sozialistische Regierung im benachbarten Venezuela kolumbianische Rebellen beherberge. Später stellte sich heraus, dass mindestens eines der Bilder in Kolumbien entstanden war.

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