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: Oberstes Gericht Polens kann Justizreform korrigieren

Europäischer Gerichtshof betont die Bedeutung unabhängiger Justiz, gibt die Entscheidung in einem wichtigen Punkt aber nach Polen zurück. Dort könnte sich der Konflikt zuspitzen

Das Neue

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) ermöglicht der polnischen Justiz eine Korrektur von zentralen Teilen der umstrittenen Justizreform, verzichtete allerdings auf glasklare Vorgaben. Das Oberste Gericht Polens, das die Reform sehr skeptisch sieht, kann und muss nun über die Unabhängigkeit einer neu eingerichteten Disziplinarkammer und des Justizverwaltungsrats entscheiden.

Der Kontext

Seit 2015 regiert die nationalkonservative Partei PiS in Polen. Seitdem versucht sie, die polnische Justiz unter ihre Kontrolle zu bekommen. Verschiedene Gesetze veränderten unter anderem die Regeln für die Besetzung des Verfassungsgerichts, des Obersten Gerichts und des Justizverwaltungsrats, der die Richter wählt.

Im konkreten Fall fragte das Oberste Gericht Polens den EuGH, ob eine neugebildete Disziplinarkammer als unabhängiges Gericht anzusehen ist. Die Frage nach der Disziplinarkammer war aber nur ein Kniff. Eigentlich geht es dem Obersten Gericht um den Justizverwaltungsrat (KSR), der auch die Richter der Disziplinarkammer vorgeschlagen hatte.

Der EuGH äußerte sich nicht abschließend über den Justizverwaltungsrat. Die Richter wiesen aber darauf hin, dass der KSR nur dann die Unabhängigkeit der Justiz schützen kann, wenn er selbst ausreichend unabhängig von der Politik ist. Daran aber bestünden Zweifel, weil nach der Justizreform immerhin 23 von 25 Mitgliedern des Justizverwaltungsrats aus der Politik stammen oder vom Parlament gewählt werden. Im Sejm hat die PiS mit Abstand die meisten Stimmen und kann so regierungstreue Juristen in den Rat entsenden. Auch gegenüber der Disziplinarkammer äußerte sich der EuGH skeptisch. Mehrfach betonte das Gericht die große Bedeutung unabhängiger und unparteilicher Gerichte.

Die Konsequenzen

Das Oberste Gericht Polens, das als letzte Bastion einer unabhängigen Justiz gilt, hatte vielleicht auf klarere Vorgaben gehofft, aber eigentlich weiß es selbst schon recht genau, was zu tun ist. In seiner Vorlage an den EuGH hat es jedenfalls große Zweifel erkennen lassen, dass die Disziplinarkammer und der Justizverwaltungsrat unabhängig sind. Sollte es nun zum Schluss kommen, dass die Disziplinarkammer und der Justizverwaltungsrat nicht unabhängig sind, könnte es zum Konflikt mit dem inzwischen linientreuen polnischen Verfassungsgericht kommen. Das hat schon vor Monaten die Reform des Justizverwaltungsrats abgesegnet. Der EuGH hat nun aber vorsorglich erklärt, was dann gilt: Falls sich das Oberste Gericht auf EU-Recht beruft, hat dieses Vorrang vor polnischem Recht.

Die Reaktionen

Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki (PiS) will am umstrittenen Umbau der Justiz festhalten. Małgorzata Gersdorf, die unbeugsame Vorsitzende des Obersten Gerichts Polens, forderte den Gesetzgeber auf, Maßnahmen zu ergreifen, um „juristisches Chaos“ zu vermeiden.

Christian Rath