Brand im Grenfell Tower: Wie die Feuerwehr versagte

Beim Brand des 24-stöckigen Grenfell Tower in London 2017 starben 72 Menschen. Das war vermeidbar, sagt jetzt eine richterliche Untersuchung.

Verkohlte Hochhausruine

Die Brandruine, August 2017: Warum rief die Feuerwehr die Leute auf, in ihren Wohnungen zu bleiben? Foto: Daniel Zylbersztajn

Oft stand Feuerwehrpersonal bei den Schweigemärschen in Ehrenformation am Wegrand. Der Einsatz individueller Einsatzkräfte war selbstlos und heroisch, dennoch verweist der Schlussbericht der ersten Phase der öffentlichen Grenfell-Untersuchung auf verheerende institutionelle Fehler. Über 1.000 Seiten in vier Bänden geben unter anderem Aufschluss zur Vorgangsweise der Rettungskräfte beim Brand des Londoner Hochhauses Grenfell Tower, in dem am 14. Juni 2017 72 Menschen ihr Leben verloren.

Der Bericht der Untersuchungskommission unter Leitung des pensionierten Richters Sir Martin Moore-Bick ist so detailliert, dass er Grundlage für weltweites Training in Feuersicherheit werden könnte. Er analysiert Fragen zur Struktur des Gebäudes, seinen Eigentümern und Verwaltern und seiner Renovierung.

Im zweiten Teil des Berichts wird das Feuer aufs Genaueste beschrieben, nachdem ein Bewohner um 00.54 Uhr die Notdienste verständigte, weil ein Feuer in seiner Küche ausgebrochen war. „Es war nichts weiteres als ein gewöhnliches Küchenfeuer“, schreibt der Bericht und betont, dass den Bewohner keine Schuld treffe.

Fünf Minuten nach der Verständigung der Notdienste erreicht die Feuerwehr das Gebäude. Um 1.09 Uhr steigt das Feuer an der Außenfassade hoch. Um 1.27 Uhr erreicht der Brand das Dach des 24-stöckigen Hauses und beginnt sich horizontal auszubreiten. Erst um 02.35 wird die Empfehlung der Feuerwehr an die Bewohner*Innen, in ihren Wohnungen zu bleiben, aufgehoben. Um 08.07 morgens wird der letzte Überlebende geborgen. Wie viele Menschen verbrannt sind, weiß da noch niemand.

Fehlverhalten der Brandbekämpfer ist offziell

Manches aus dem Bericht war schon bekannt: Dass die bei der Renovierung an die Außenfassade angebrachte Dämmung das Feuer schürte, weil die Kompartmentalisierung unter der Hitze zusammenbrach, oder dass die Feuertüren sich nicht von selbst schlossen.

Offiziell festgestellt ist jetzt aber das Fehlverhalten der Brandbekämpfer. Ab 1.20 Uhr waren viele Flure voller Rauch, dennoch konnten bis 1.50 Uhr 168 Menschen dem Feuer entkommen. Erst ab 2.20 Uhr war der Rauch auch im Treppenhaus lebensgefährlich, ohne dass es unmöglich war, weiter über das Treppenhaus zu entkommen.

Die Vorbereitungen der Londoner Feuerwehr (LFB), schreibt Moore-Bick, waren „vollkommen inadäquat.“ Dieser Punkt zirkuliert seit Anfang dieser Woche über Leaks in den britischen Medien. Dem Feuerwehrpersonal fehlte Training über die spezifischen Gefahren mit brennbarer Dämmung. Und: „LFB hatte kein Training erhalten, wie die Notwendigkeit einer Evakuierung erkannt werden kann.“

Die Datenbank zur Erwägung des Feuerrisikos „war viele Jahre rückständig“, heißt es im Bericht. Informationen bezüglich Grenfell Tower waren falsch oder fehlten ganz. Die Baupläne, über die die Hausverwaltung verfügte, erreichten die Feuerwehr erst um 8.00 Uhr morgens.

„Niemand bei den Einsatzkräften war in der Lage, zu erkennen, dass die Kompartmentalisierung nicht mehr funktionierte und dass der Tower hätte evakuiert werden müssen“, schreibt Moore-Bick. „Wenn diese Entscheidung gegen 1.30 oder 1.50 Uhr getroffen worden wäre, hätte es zum Verlust von weniger Menschenleben geführt.“

Erhöhter Druck auf die Feuerwehrbehörde

Auch die Kommunikation innerhalb der Feuerwehr funktionierte schlecht. Die Brandbekämpfer vor Ort erfuhren nicht, wo genau sich Menschen im Tower befanden. Als die Entscheidung getroffen wurde, das Gebäude zu evakuieren, wurde den Leuten nicht klar gesagt, dass sie nun auf alle Fälle versuchen müssten, dem Brand zu entkommen. Der Evakuierungsplan der städtischen Hausverwaltung Kensingtons war 15 Jahre veraltet und wurde nicht in Gang gesetzt.

Unter den Empfehlungen von Moore-Bick stehen viele eigentlich selbstverständliche Dinge: Detaillierte, digital zugängliche Informationen für die Feuerrettungsdienste über Bau- und Renovierungsmaterialien, Baumethoden und Rettungspläne; Inspektionen und Training bezüglich von Hochhäusern, inklusive Fahrstühle, Feuertüren. Jede Wohnung brauche Feuerlöscher, jedes Hochhaus ein Sprinklersystem. Auch die Fragen, wie Informationen aus der Notrufzentrale an die Feuerwehrleute vor Ort gelangen, wird behandelt.

Moore-Bick empfiehlt das Entfernen brennbarer Polyethylen-Dämmung an bis zu 400 Towern gleicher Art in Großbritannien. Über ein vollkommenes Verbot, so wie es einige in der Untersuchung verlangten, könnte erst in der nächsten Phase der Untersuchung entschieden werden, viele Materialien seien ohnehin bereits nicht mehr zugelassen. Auch eine Evaluierung der Testmethoden von Baumaterialien werde dann untersucht.

Der Bericht erhöht den Druck auf die Feuerwehrbehörde, nachdem schon Feuerwehrkommandantin Dany Cotton nicht nur von Moore-Bick für eine Aussage bei der Untersuchung kritisiert worden war, wonach sie im Rückblick nichts anders machen würde. Cotton hieß den Bericht jedoch willkommen. Andere verweisen auch auf Kürzungen des amtierenden Premierministers Boris Johnsons in der Zeit vor 2016, als er noch Londoner Bürgermeister war, darunter die Schließung von Feuerwehrzentralen und Kürzungen bei Trainings-und Übungsmöglichkeiten.

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